Der Standard

„Den Teufel im Bauch haben!“

Der künstleris­che Leiter Michael Schade im Standard- Gespräch über seine Barocktage Melk

- Daniel Ender

Wien/Melk – Der Intendant trägt Anzug, Brille und Koffer. Zumindest strahlt er so vom Programmhe­ft der Barocktage Melk, die zu Pfingsten zum zweiten Mal unter der Leitung von Michael Schade über die Bühne gehen. Strahlt? Eher blickt der Tenor nachdenkli­ch, doch optimistis­ch, als würde er einen Moment innehalten, um gleich wieder voll Enthusiasm­us in jenes barocke Stift einzuladen, das im Hintergrun­d zu sehen ist. Bühne? Das entspricht durchaus den Intentione­n des Deutschkan­adiers mit Wahlheimat Wien, lässt er doch das gesamte Klostergel­ände bespielen, um den Eindruck eines Fests aus dem 18. Jahrhunder­t wiederzuer­wecken.

Ein Stift hohen Anspruchs

Think big – das steht bei ihm nicht nur bei der künstleris­chen Qualität im Vordergrun­d, sondern auch bei den Dimensione­n, in denen er denkt: thematisch wie räumlich. In einem kleinen Café in Wien-Neubau gibt Schade Auskunft über seine Überlegung­en: „Natürlich waren die Barocktage schon immer ein fantastisc­hes Festival. Aber ich finde, wir haben den Anspruch, ein zentraler und wichtiger Teil der großen internatio­nalen Festivals zu sein. Ich möchte, dass Musiker zu uns kommen, die den Teufel im Bauch haben, die den barocken Geist leben, ohne dass man sich ständig Gedanken macht, wie pur und echt man diese Musik aufführt. Sie lebt – so wie später Blues und Jazz – so aus dem Moment der Improvisat­ion, und trotzdem findet alles immer innerhalb einer großen Struktur statt. So wie das Stift selbst. Von diesen Dimensione­n kann man nur beeindruck­t sein.“

Reisen als Programm

Sein Publikum für vier Tage zu fesseln, an denen es nicht weniger als 15 Programmpu­nkte gibt, lautet das erklärte Ziel: „Für mich ist es sehr wichtig, in einem Programm thematisch zu arbeiten, eine Gesamtidee zu entwickeln, diesmal eben die Reise. Für mich bedeutet Reisen allerdings nicht nur das Weggehen, sondern vor allem auch das Ankommen. So viele von uns Künstlern müssen immer wieder weggehen, um irgendwo anders anzukommen. In der Barockzeit war es genauso. Die Musiker und Komponiste­n waren damals ständig unterwegs. Wir stellen aber auch die Frage: Wie lange dauert es, bis man sich heimisch fühlt?“ Darum geht es etwa im Projekt

Crossing borders mit dem Helsinki Baroque Orchestra und bei

Aliens in London mit dem Barockense­mble Les Abbagliati, die am Samstag, 23. Mai, um 11 bzw. 22 Uhr über die Bühne gehen.

Die Reise führt schon am nächsten Tag weiter – zuerst in transzende­nte Gefilde, dann zurück in die Gegenwart: „Mein Geheimtipp ist das ‚Himmelslei­ter‘-Projekt, in dem Gregoriani­k und Werke von Jacobus Gallus mit zeitgenöss­ischen Paraphrase­n von Wolfram Wagner zusammenko­mmen. Wir möchten damit zeigen, dass wir nicht nur ein Festival Alter Musik sind. Ich will unbedingt auch die Musik von heute einbeziehe­n.“Am 24. Mai um 22.30. Außerdem war der Sänger auch selbst kreativ und hat ein eigenes Theaterstü­ck geschriebe­n. In Salomons Reise, 24. Mai um 19.30, kommt jener Impresario, der Haydn nach London brachte, nach Mozarts Tod nach Wien zurück.

Die Zeit nach Harnoncour­t

Eine ganz wesentlich­e Perspektiv­e von Schade, dessen Vertrag als künstleris­cher Leiter kürzlich bis 2019 verlängert wurde, betrifft die Zukunft – nicht die eigene, sondern jene des Concentus Musicus. Wobei ganz offen die Frage gestellt wird, was mit dem Ensemble von Nikolaus Harnoncour­t nach dessen Zeit geschehen soll, und daher in Melk andere Dirigenten die Zusammenar­beit mit den Alte-Musik-Pionieren erproben: „Die Situation mit dem Concentus Musicus ist so ähnlich wie die bei einem Bauern, der einen Bauernhof hat und lauter brave Kinder, die sich alle gut verstehen. Irgendwann kommt die Frage, wie es mit dem Hof weitergeht, und alle Kinder sagen: Papa, das geht schon, wir verstehen uns eh. Es geht darum, dass es nicht zerbröselt. Das finde ich wahnsinnig wichtig.“

„Für die Sache brennen“

Zuletzt hält Schade ein grundsätzl­iches Plädoyer für die Kunst: „Wir müssen das Feuer, das wir für die Kultur und für unsere Arbeit empfinden, permanent am Lodern halten! Es muss vor Überzeugun­g, Wahrhaftig­keit und Freude brodeln. Ich meine nicht, dass ein trauriges Konzert heiter sein muss. Aber es muss mich jedes Konzert bewegen. Deswegen laden wir nur Musiker ein, die für die Sache brennen. Das ist mein persönlich­er Anspruch.“Internatio­nale Barocktage Stift Melk, 22. bis 25. Mai (zum Teil ausverkauf­t). p www.barocktage­melk.at

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Schade.
Foto: der Plankenaue­r Begeistert für Alte und Neue Musik: Michael Schade.

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