„Den Teufel im Bauch haben!“
Der künstlerische Leiter Michael Schade im Standard- Gespräch über seine Barocktage Melk
Wien/Melk – Der Intendant trägt Anzug, Brille und Koffer. Zumindest strahlt er so vom Programmheft der Barocktage Melk, die zu Pfingsten zum zweiten Mal unter der Leitung von Michael Schade über die Bühne gehen. Strahlt? Eher blickt der Tenor nachdenklich, doch optimistisch, als würde er einen Moment innehalten, um gleich wieder voll Enthusiasmus in jenes barocke Stift einzuladen, das im Hintergrund zu sehen ist. Bühne? Das entspricht durchaus den Intentionen des Deutschkanadiers mit Wahlheimat Wien, lässt er doch das gesamte Klostergelände bespielen, um den Eindruck eines Fests aus dem 18. Jahrhundert wiederzuerwecken.
Ein Stift hohen Anspruchs
Think big – das steht bei ihm nicht nur bei der künstlerischen Qualität im Vordergrund, sondern auch bei den Dimensionen, in denen er denkt: thematisch wie räumlich. In einem kleinen Café in Wien-Neubau gibt Schade Auskunft über seine Überlegungen: „Natürlich waren die Barocktage schon immer ein fantastisches Festival. Aber ich finde, wir haben den Anspruch, ein zentraler und wichtiger Teil der großen internationalen Festivals zu sein. Ich möchte, dass Musiker zu uns kommen, die den Teufel im Bauch haben, die den barocken Geist leben, ohne dass man sich ständig Gedanken macht, wie pur und echt man diese Musik aufführt. Sie lebt – so wie später Blues und Jazz – so aus dem Moment der Improvisation, und trotzdem findet alles immer innerhalb einer großen Struktur statt. So wie das Stift selbst. Von diesen Dimensionen kann man nur beeindruckt sein.“
Reisen als Programm
Sein Publikum für vier Tage zu fesseln, an denen es nicht weniger als 15 Programmpunkte gibt, lautet das erklärte Ziel: „Für mich ist es sehr wichtig, in einem Programm thematisch zu arbeiten, eine Gesamtidee zu entwickeln, diesmal eben die Reise. Für mich bedeutet Reisen allerdings nicht nur das Weggehen, sondern vor allem auch das Ankommen. So viele von uns Künstlern müssen immer wieder weggehen, um irgendwo anders anzukommen. In der Barockzeit war es genauso. Die Musiker und Komponisten waren damals ständig unterwegs. Wir stellen aber auch die Frage: Wie lange dauert es, bis man sich heimisch fühlt?“ Darum geht es etwa im Projekt
Crossing borders mit dem Helsinki Baroque Orchestra und bei
Aliens in London mit dem Barockensemble Les Abbagliati, die am Samstag, 23. Mai, um 11 bzw. 22 Uhr über die Bühne gehen.
Die Reise führt schon am nächsten Tag weiter – zuerst in transzendente Gefilde, dann zurück in die Gegenwart: „Mein Geheimtipp ist das ‚Himmelsleiter‘-Projekt, in dem Gregorianik und Werke von Jacobus Gallus mit zeitgenössischen Paraphrasen von Wolfram Wagner zusammenkommen. Wir möchten damit zeigen, dass wir nicht nur ein Festival Alter Musik sind. Ich will unbedingt auch die Musik von heute einbeziehen.“Am 24. Mai um 22.30. Außerdem war der Sänger auch selbst kreativ und hat ein eigenes Theaterstück geschrieben. In Salomons Reise, 24. Mai um 19.30, kommt jener Impresario, der Haydn nach London brachte, nach Mozarts Tod nach Wien zurück.
Die Zeit nach Harnoncourt
Eine ganz wesentliche Perspektive von Schade, dessen Vertrag als künstlerischer Leiter kürzlich bis 2019 verlängert wurde, betrifft die Zukunft – nicht die eigene, sondern jene des Concentus Musicus. Wobei ganz offen die Frage gestellt wird, was mit dem Ensemble von Nikolaus Harnoncourt nach dessen Zeit geschehen soll, und daher in Melk andere Dirigenten die Zusammenarbeit mit den Alte-Musik-Pionieren erproben: „Die Situation mit dem Concentus Musicus ist so ähnlich wie die bei einem Bauern, der einen Bauernhof hat und lauter brave Kinder, die sich alle gut verstehen. Irgendwann kommt die Frage, wie es mit dem Hof weitergeht, und alle Kinder sagen: Papa, das geht schon, wir verstehen uns eh. Es geht darum, dass es nicht zerbröselt. Das finde ich wahnsinnig wichtig.“
„Für die Sache brennen“
Zuletzt hält Schade ein grundsätzliches Plädoyer für die Kunst: „Wir müssen das Feuer, das wir für die Kultur und für unsere Arbeit empfinden, permanent am Lodern halten! Es muss vor Überzeugung, Wahrhaftigkeit und Freude brodeln. Ich meine nicht, dass ein trauriges Konzert heiter sein muss. Aber es muss mich jedes Konzert bewegen. Deswegen laden wir nur Musiker ein, die für die Sache brennen. Das ist mein persönlicher Anspruch.“Internationale Barocktage Stift Melk, 22. bis 25. Mai (zum Teil ausverkauft). p www.barocktagemelk.at