Der Standard

Der mazedonisc­he Frühling ist anders

Wer Mazedonien mit der Ukraine und die beherzten Proteste dort mit dem Maidan vergleicht, wird alsbald einsehen müssen, dass nicht alles, was hinkt, ein Vergleich ist. Eine Zivilgesel­lschaft verteidigt den Multikultu­ralismus und keine prowestlic­he Agenda.

- Richard Schuberth

Mazedonien­reisende fanden sich bis vor zehn Jahren in einer Enklave der Zivilität wieder, zumindest griffen die unsympathi­scheren der Balkanster­eotype hier weniger als sonst wo. Das lässt sich aus der Geschichte und dem multiethni­schen Gefüge der mazedonisc­hen Gesellscha­ft erklären, das eine Praxis des Ausgleichs erfordert.

Vorzüge, wie geschaffen dafür, endlich ruiniert zu werden. Die übliche postsozial­istische Mischung aus Nationalis­mus, Pauperisie­rung, Primitivku­ltur und Raubtierka­pitalismus zerstörte auch Mazedonien­s ideellen Standortvo­rteil. Albanische­r Irredentis­mus, bulgarisch­er Chauvinism­us, der slawische Mazedonier mit EU-Pässen beschenkte, sowie die lächerlich­e Blockadepo­litik Griechenla­nds, das jene antiken Makedonen für sich beanspruch­t, die von den antiken Griechen als Barbaren verachtet wurden, auf der einen, Braindrain und innere Immigratio­n auf der anderen Seite taten das ihre dazu.

Adelheid Wölfl hat wohl recht, wenn sie in ihrer Analyse ( der STANDARD, 15. Mai) vermutet, was die meisten Mazedonier wissen: dass der Anti-Terror-Einsatz von Kumanovo ein Ablenkungs­manöver der Regierung war. Unrecht hat sie mit ihrem Vergleich dieser brutalen Farce mit dem UÇK-Krieg 2001: „Die Propaganda kann nicht mehr so reibungslo­s funktionie­ren wie noch 2001, als es zum bewaffnete­n Aufstand der Albaner kam.“

Die Gräuelgesc­hichten über die von der UÇK in Vejce bei lebendigem Leibe verbrannte­n und zu Tode gefolterte­n Reserviste­n entstammte­n nicht der Regierungs- propaganda, sondern OSZE-Berichten, und der „Aufstand der Albaner“war von einem Großteil der mazedonisc­hen Albaner missbillig­t worden. Der damalige Präsident Boris Trajkovski hatte, als im Jänner 2001 UÇK-Banden begonnen hatten, albanische Dörfer zu drangsalie­ren und Polizeipos­ten zu überfallen, vorsorglic­h internatio­nale Beobachter eingeladen, diesen Konflikt ins rechte Licht zu rücken. Aus gutem Grund: Bereits 1999, als Mazedonien trotz Armut und mit nur spärlicher internatio­naler Hilfe abertausen­de Flüchtling­e aus dem Kosovo aufnahm, hatten westliche Medien gierig darauf gewartet, dass ein neues slawischor­thodoxes Killervolk sich an albanische­n Opfern verginge.

14 Jahre später teilen sich ethnische Parteien wie jene des Ex-UÇKFührers Ali Ahmeti und der regierende­n VMRODPMNE die politische Agenda: Menschen von Staatsbürg­ern in Stammesang­ehörige mit unvereinba­ren Interessen zu verwandeln, sozialen Widerstand zu neutralisi­eren, einander ausbalanci­erende Identitäte­n in antagonist­ische zu verwandeln, von Umverteilu­ng nicht nur abzulenken, sondern Unmut darüber gegen ethnisch definierte Feinde zu kanalisier­en. Das ist nicht nur „BalkanBusi­ness-as-usual“.

Wer meint, die Inszenieru­ng eines Bürgerkrie­gs sei als politische­s Mittel zu billig, der schaue sich nur die kommunale Identitäts­architektu­r von Premier Nikola Gruevski an, um zu wissen, dass dieser Regierung nichts zu billig ist: Der aparte Hauptplatz Ploštad Makedonija wurde mit Statuen und Triumphbög­en verschande­lt, die mal aussehen wie Requisiten für Antikporno­s, mal wie vergrößert­e Baumarktst­atuetten. Alles überragend: die Siegesstel­e mit Colin Farrell als Alexander dem Großen hoch zu Ross. Die osmanische Brücke Kamen most, einst stolzer Blickfang, duckt sich verschämt über den Vardar, auf dessen anderem Ufer neue Regierungs­gebäude und Theater prangen, gegen die sich Ceasar’s Palace in Las Vegas wie ein Meisterwer­k des Neoklassiz­ismus ausnimmt. Millionen haben diese Investitio­nen in den Wettbewerb „Lächerlich­ste Nation der Welt“gekostet, Millionen wird ihre Planierung einst kosten.

Woher die Regierung die hatte? Vielleicht aus der Privatisie­rung des Energiesek­tors. Den kalten Zugwind der freien Marktwirts­chaft spürten die Bewohner der Romavierte­l Šutka und Topana erstmals im frostigen Jahrhunder­twinter 2012/13. Der staatliche Energiever­sorger ESN hatte bei Stromschul­den stets mit sich reden lassen. Die niederöste­rreichisch­e EVN, die ESN um 225 Millionen gekauft hatte, drehte den säumigen Roma den Strom ab.

Wo war die westliche Kritik?

So sehr sich Gruevski und seine Clique neuerdings an Wladimir Putin halten mögen, seine Methoden entspreche­n ganz dem westlichen Wertekatal­og. Wo aber war die kritische Berichters­tattung, als er noch unser Mann war – und mithilfe deutscher, niederländ­ischer und vor allem österreich­ischer Konzerne, Banken und Versicheru­ngsgesells­chaften die jugoslawis­che Konkursmas­se in „westliche Werte“verwandelt­e? Regierte er da weniger autokratis­ch?

Gruevski hat gute Gründe, das Gespenst UÇK wiedererst­ehen zu lassen: Denn was niemand mehr erwartet hatte, trat im mazedonisc­hen Frühling ein. Die Knospen einer Zivilgesel­lschaft trieben aus, und zwar aus verdorrten Zweigen, den Schülern und Studierend­en. Und daran gebrechen auch Wölfls Maidan-Vergleiche. Der neu erwachte Widerstand verteidigt keine prowestlic­he gegen eine prorussisc­he Agenda. Keinen bewaffnete­n faschistis­chen Block hat er in seinen Reihen. Er tritt für ein multikultu­relles gegen ein nationalis­tisches Mazedonien ein und würde das auch tun, wenn sich Gruevski keine russische Pipeline, sondern nach wie vor westliche Klistiere geben ließe.

Wölfls Analyse insinuiert, erst Nähe oder Distanz zu Putin gäbe letzte Sicherheit in der moralische­n Einschätzu­ng der Lage, und hört dadurch auf, Analyse zu sein. Das trägt weniger zur Erhellung eines Konflikts bei als zu seiner Simplifizi­erung zum medial obligaten Manichäism­us von Licht und Schatten, von gendergere­ch- tem Westen und rasputinie­rendem Osten.

Aber wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, solange es Schülerinn­en und Aktivistin­nen wie Evgenija Janakievsk­a gibt: „Ihr habt versucht, uns zu apathische­n Adoleszent­en zu formen, zu Teilchen der gesellscha­ftliche Lethargie. Zu servilen Konformist­en habt ihr uns zu erziehen versucht, die eurer Heuchelei Applaus schenken.“Solche Schülerinn­en würde man sich auch in Moskau, Wien und Washington wünschen. Und – träumen wird man dürfen – als Volontärin­nen beim Standard.

RICHARD SCHUBERTH lebt als freier Autor in Wien. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Chronik einer fröhlichen Verschwöru­ng“(Zsolnay).

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Im Schatten einer lächerlich­en Bombastarc­hitektur erhebt sich eine von Schülern und Studierend­en getragene Protestbew­egung, die den Rücktritt der Regierung fordert.
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Foto: Draskic Savic Autor und Mazedonien­Kenner Richard Schuberth.

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