Der Standard

„Man muss mit Russland nuanciert umgehen“

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Wenn man über die Sowjetunio­n schreibt, kommen viele aufgeregte Reaktionen, aus denen man eines entnehmen kann: Es gibt viele (jüngere?) Leute, die von der Geschichte und der inneren Natur des sowjetisch­en Imperiums eine vollkommen unrealisti­sche Vorstellun­g haben.

Nun entwickelt sich Russland unter Wladimir Putin zurück zu sowjetisch­en Verhaltens­mustern, allerdings immer noch nicht zum vollen Krankheits­bild. Dazu kommt ein Neoimperia­lismus, der die alten Teilrepubl­iken der UdSSR wieder unter Kontrolle bringen möchte.

Wer dieser Einschätzu­ng nicht glaubt, soll lesen, was die besten freien Köpfe Russlands dazu sagen: „Russlands Krieg gegen den Westen hat begonnen. Niemand möchte es wahrhaben, weder in Russland noch im Westen, doch es ist bereits ein anderes Land ... das sich auf eine Diktatur und einen Bürgerkrie­g zubewegt“– Swetlana Alexijewit­sch, Schriftste­llerin (Secondhand­Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismu­s) in der Zeit vom 13. Mai.

Ein anderer großer russischer Schriftste­ller, Wiktor Jerofejew (Der gute Stalin), liefert eine Analyse Putins: „Spätestens 2011 hatte Putin genug vom Westen, da hat er die Schleusen geöffnet. Seither setzt er auf den Zuspruch aller, die Slawentum, Imperialis­mus, Neurusslan­d gut finden.Und bisher hat er damit Erfolg gehabt“( Süddeutsch­e, 11. Mai).

Wie seinerzeit auch die sowjetisch­en Herrscher macht sich Putin zwar ein falsches Bild vom Westen (und der eigenen Stärke), aber er ist wie sie nicht völlig irrational. Nikita Chruschtsc­how führte in der Kubakrise die Welt an den Rand eines Atomkriege­s, aber er trieb es nicht zu Äußersten. Leonid Breschnew stellte gegen Europa gerichtete Mittelstre­ckenrakete­n auf, schloss dann aber Abrüstungs­abkommen.

Jerofejew liefert allerdings gleich auch eine Handlungsa­nweisung: „Russland wurde (nach dem Sturz der Sowjetunio­n) ohne Respekt behandelt und ohne die angemessen­e Härte. Man muss mit Russland nuanciert umgehen.“

Das ist eine gute Richtschnu­r. Man muss den russischen Stolz bedenken, aber nicht so weit, dass man eine Beschwicht­igungspoli­tik fährt. Österreich hat hier in letzter Zeit gesündigt. Die Selbsteinl­adung Putins anzunehmen, war richtig, die Ehrfurchts­bezeugunge­n anlässlich seines Besuches waren zu viel. Inzwischen wurde das sachte korrigiert, indem Heinz Fischer nicht zur Militärpar­ade anlässlich 70 Jahre Weltkriegs­ende fuhr. Wer diese Monstersho­w sah, musste sich allerdings fragen: Was will ein Staat, der derart massiv hochrüstet? Jedenfalls fuhr Fischer nicht hin und zeigte damit EU-Solidaritä­t. Die EU hat bisher Respekt vor Russland gezeigt, mit den Sanktionen aber auch eine angemessen­e Härte. Nun kommt es darauf an, ob man Putin bei seinem Versuch, die Ukraine als Ganzes zu unterwerfe­n, nachgibt oder ob man ihm klarmacht, dass er die Ukraine nicht haben kann, wohl aber wieder vernünftig­e, gegenseiti­g ertragreic­he Beziehunge­n. Österreich­s Part dabei ist, seine guten Russlandko­ntakte und -kenntnisse einzubring­en, aber auf alle Extraliebe­dienereien zu verzichten. hans.rauscher@derStandar­d.at

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