Der Standard

Kiew von EU-Plänen enttäuscht

EU- Gipfel in Riga ohne Fortschrit­te bei Visafreihe­it

- Nina Jeglinski aus Kiew Nowoje Wremja

Vor einem Jahr, nach den prowestlic­hen Maidan-Protesten, haben sich Politiker in der EU und in der Ukraine reihenweis­e für eine schnelle Visafreihe­it ausgesproc­hen – doch daraus wird vorerst nichts. Auf dem EU-Gipfel ab heute, Donnerstag­abend, in Riga wird es für Kiew kaum nennenswer­te Ergebnisse geben. In der Ukraine fordern Experten deshalb eine Überarbeit­ung des Modells „Östliche Partnersch­aft“.

Die Enttäuschu­ng über die Ablehnung der Visafreihe­it ist in der Ukraine groß. In vielen Medien wird das Thema seit Monaten behandelt, hatten doch viele Bürger gehofft, ab 1. Jänner 2016 ohne Visum in die EU reisen zu können. Die Internetze­itung Apostroph spricht sogar von einer „persönlich­en Niederlage von Präsident Petro Poroschenk­o“– der hatte nach seiner Wahl die Aufhebung des Visaregime­s versproche­n.

Vor allem Berlin und Paris haben Bedenken; nicht nur wegen der Sicherheit­slage in der Ostukraine, sondern auch wegen der bisher schleppend verlaufend­en Einführung biometrisc­her Reisepässe. Schätzunge­n zufolge besitzen 70 Prozent der Ukrainer keinen Reisepass. Zwar hat Kiew mit der Einführung neuer Ausweise begonnen, doch das Verfahren ist das alte geblieben. Aufgrund der hohen Korruption müssen für die Ausstellun­g bis zu 2000 US-Dollar an Bestechung­sgeld gezahlt werden. Der Pass muss an dem Ort beantragt werden, an dem die Bürger ursprüngli­ch einmal gemeldet waren. Viele Ukrainer benutzen heute ihre Geburtsadr­essen, weil das Ummelden – Stichwort Korruption – Zeit und Geld kostet. Wer in den vergangene­n Jahren umgezogen ist, müsste sich das nachträgli­ch bestätigen lassen; ein Bürokratie­dschungel, den kaum einer freiwillig betritt.

Doch solche Wahrheiten sparen viele ukrainisch­e Medien aus, wenn es um den EU-Gipfel geht. Nach Meinung der Wochenzeit­ung hat das verfehlte Management der ukrainisch­en Diplomaten dazu geführt, dass Kiew ohne greifbare Ergebnisse nach Riga reisen wird. „Das ist ganz klar das Ergebnis mangelnder Profession­alität einiger unserer Diplomaten“, sagte Vasily Filiptschu­k, Chef des Internatio­nalen Zentrums für Auswärtige Politik, einem Thinktank in Kiew.

Keine Rücksicht auf Moskau

Ex-Außenminis­ter Wolodimir Ohryzko hingegen ist der Meinung, das Konzept der Östlichen Partnersch­aft habe dazu beigetrage­n, dass der Integratio­nsprozess zwischen der Ukraine und der EU derart schwerfäll­ig verläuft. In einem Gespräch mit Apostroph sagte Ohryzko, der bei der Taufe des EU-Konzepts 2009 sein Land vertrat, dass die EU eine ehrliche Analyse vornehmen müsse. Es sei sinnvoll, die Östliche Partnersch­aft aufzuteile­n: in Länder, die konkretes Interesse an einem EUBeitritt haben, und in Länder, die in erster Linie wirtschaft­liche Beziehunge­n entwickeln wollen. Die Ukraine gehöre seiner Ansicht nach in den Kreis der EU-Mitgliedst­aaten. Brüssel solle deshalb weniger Rücksicht auf die Vorbehalte aus Russland nehmen, forderte Ohryzko.

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gliederung des Kosovo in den serbischen Staatsverb­and nach.
Serbiens Präsident Tomislav Nikolić denkt laut über die Wiederein gliederung des Kosovo in den serbischen Staatsverb­and nach.

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