Der Standard

Kosovo wird erneut zum Streitthem­a in Belgrad

Präsident Tomislav Nikolić fordert Autonomiem­odell innerhalb Serbiens

- Andrej Ivanji, Adelheid Wölfl

Belgrad/Prishtina – Der Kosovo wird für immer und ewig ein Bestandtei­l Serbiens bleiben. So in etwa steht es in der serbischen Verfassung, entspreche­nd ist auch die offizielle Kosovo-Politik Belgrads: Die „südserbisc­he Provinz“will man unter gar keinen Umständen anerkennen.

Zumindest formal ist es so. In der Praxis ist die serbische Regierung in den vergangene­n Jahren jedoch auf viele Kompromiss­e eingegange­n, die de facto die Unabhängig­keit des Kosovo abrunden. Dies war auch eine Bedingung für die Aufnahme der EU-Beitrittsv­erhandlung­en im Jänner 2014, seither ist die Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Belgrad und Prishtina Voraussetz­ung für den europäisch­en Integratio­nsprozess Serbiens geblieben. In Belgrad spricht man daher immer öfter das eigentlich unaussprec­hbare aus: Bis zur Aufnahme in die EU führt kein Weg an der vollen Anerkennun­g des Kosovo vorbei.

Das jedoch geht dem Staatspräs­identen Serbiens, Tomislav Nikolić, zu weit. Sollte Serbien vor die Wahl „Kosovo oder EU“gestellt werden, werde man auf die EU verzichten müssen, pflegt Nikolić nach wie vor zu sagen. Am Dienstag übergab er der Regierung ein entspreche­ndes Positionsp­apier.

Laut serbischen Medien soll dort unter anderem stehen, dass internatio­nal bekannte Autonomiem­odelle im Kosovo angewendet werden könnten, wie etwa das Modell Südtirols oder das der Republika Srpska in Bosnien. Im mehrheitli­ch von Serben bewohnten Nordkosovo sollte die Verfassung Serbiens gültig sein, im restlichen Kosovo die kosovarisc­he – ausgenomme­n serbische Enklaven, die wiederum einen Sonderstat­us haben sollten.

Der Ball liegt nun bei der serbischen Regierung. Nur wenn sie den Vorschlag annimmt, wird dieser dem Parlament zur Abstimmung weitergere­icht. Es ist offensicht­lich, dass sich Präsident Nikolić von der „zu“prowestlic­hen Politik von Ministerpr­äsident Aleksandar Vučić distanzier­en möchte. Zwischen beiden Politikern brodelt seit Monaten ein Machtkampf. Das kaum realistisc­he Papier von Nikolić scheint nur ein Werkzeug in diesem Spiel zu sein.

Verhaltene Reaktionen

Im Kosovo folgte auf die Aussage von Nikolić langes Schweigen. Die kosovarisc­he Präsidenti­n Atifete Jahjaga sagte am Mittwoch bloß, dass die bereits getroffene­n Vereinbaru­ngen zwischen dem Kosovo und Serbien bedeutend seien, und dass sie sich für eine vollständi­ge Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen den beiden Ländern einsetze, wie sie auch von der EU gefordert wird. Jahjaga sagte zudem, strategisc­hes Ziel des Kosovo sei eine Mitgliedsc­haft im Europarat. Bisher wurde der Kosovo von 109 der 193 UNStaaten anerkannt.

Die Gespräche unter EU-Vermittlun­g zwischen dem Kosovo und Serbien laufen weiter. Der Kern des April-Abkommens, das die Integratio­n des serbisch besiedelte­n Nordkosovo in den kosovarisc­hen Staat vorsieht, wurde noch nicht umgesetzt. Dabei handelt es sich um die Bildung einer Vereinigun­g der serbischen Gemeinden im Nordkosovo. Deren Stellung wird aber von der Regierung in Belgrad und jener in Prishtina unterschie­dlich gesehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria