Der Standard

„Romero war der erste Apostel der Menschenre­chte“

35 Jahre nach seiner Ermordung wird der salvadoria­nische Bischof Oscar Arnulfo Romero am Sonntag seliggespr­ochen. Roberto Cuéllar, damals Student und heute Anwalt, erzählt von Religion und Politik in seinem Land.

- Sandra Weiss

INTERVIEW: Standard: Sie arbeiteten eng mit Romero zusammen, bis zu seiner Ermordung. Woran erinnern Sie sich? Cuéllar: An die Freundscha­ft, seinen Humor, seinen Fleiß, seine Konsequenz. Als er starb, hatte er fast nichts: nur vier alte Hemden, ein paar Hosen. Alles gab er den Armen. Er zeigte uns die politische Dimension des Glaubens und öffnete uns die Augen für das Recht als Teil der sozialen Gerechtigk­eit.

Standard: Das klingt sehr ähnlich zum gegenwärti­gen Papst Franziskus, und es ist sicher kein Zufall, dass gerade er Romero seligspric­ht ... Cuéllar: Das Volk sprach ihn noch in seiner Todesnacht heilig. Fünf Stunden nach dem Mord ging ich auf die Straße, es war die einsamste Nacht, die ich je erlebt habe. Plötzlich hörte ich einen Ruf. „Ist es wahr, dass sie den Heiligen getötet haben?“Es waren Obdachlose. Es war das erste Mal, dass ich von Romero als Heiligem sprechen hörte. Sie baten, den Leichnam berühren zu dürfen. Der Vikar erlaubte es, und ein paar berührten seine Füße und gingen glücklich wieder. Da kamen mir die Tränen.

Standard: Sie betrieben damals ein Rechtshilf­ebüro für die Armen. Cuéllar: Die Idee stammte vom Jesuitenpa­ter Segundo Montes. Als ich Jus studierte, schlossen die Militärs die Universitä­t. Montes rief uns zu sich: Statt zu faulenzen, sollten wir lieber den Armen Rechts- hilfe leisten. So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben. Die Elite hielt uns für verrückt, für Kommuniste­n. Bald gingen alle Missbräuch­e der Militärreg­ierung über unseren Schreibtis­ch, wir merkten schnell, wie korrupt und parteiisch unser Justizsyst­em war. Die Elite stahl den Armen das letzte Hemd. Nach dem Mord am Priester Rutilio Grande 1977 gliederte Romero uns in die Erzdiözese ein. Und wir wurden auch Teil der Selbstvert­eidigungss­trategie der Kirche.

Standard: Wie war Romero? Cuéllar: Er war sehr streng, er forderte eindeutige Belege, bevor er einen Fall vor Gericht publik machte, obwohl er wusste, wie voreingeno­mmen die Justiz war. Aber weder die Regierung noch der Oberste Gerichtsho­f konnten ihm je einen Fehler nachweisen. Als ich einmal frustriert sagte, die Gesetze seien Schrott, antwortete er mir: „Wende sie an, um zu zeigen, dass sie zu nichts nütze sind!“Heute kennen wir das als Prinzip der Ausschöpfu­ng des innerstaat­lichen Rechtswegs. Romero war der erste Apostel der Menschenre­chte.

Standard: Vor zwei Jahren wurde das Rechtshilf­ebüro geschlosse­n; bis heute liegt Romeros Grab versteckt in der Krypta der Kathedrale. Ist die Kirche undankbar? Cuéllar: Die Kirche ist zögerlich. Ich bemerke, dass die Seligsprec­hung lange nicht so viel Begeisteru­ng in der Hierarchie weckt wie im Volk. Was die Kirche braucht, das ist ein Aufklärung­sprozess.

Standard: Und der Staat? Wird er dem Erbe Romeros gerecht? Cuéllar: Nein. Ich möchte auch nur einen Richter sehen, der sich heute so klar für die Schwächere­n einsetzt wie Romero. Jemand, der bereit ist, für seine Überzeugun­gen ins Gefängnis zu gehen. Klar hat das Land Fortschrit­te gemacht, aber das hat alles kein System. Wir haben einen mitfühlend­en Präsidente­n, aber er hat keine Strategie. Für die armen Schulkinde­r gibt es ein Glas Milch und eine Schulspeis­ung – und sonst? Es geht nur noch um Machterhal­t und Almosen, nicht darum, Rechte zu erkämpfen. Standard: Bis heute wurde niemand wegen des Mordes an Romero zur Rechenscha­ft gezogen ... Cuéllar: Die Regierung hat einiges getan, aber was nützen die ganzen Hommagen, Brücken und Straßen, die nach Romero benannt sind? Wir haben die große Schuld gegenüber Romero noch nicht beglichen. Er war der Vorläufer des Rechts der Opfer auf Wahrheit. Es ist eine Ironie, dass man ausgerechn­et über Romero nie die ganze Wahrheit erfahren hat, weil ein Amnestiege­setz das verhindert.

Standard: Laut Wahrheitsk­ommission gab Geheimdien­stmajor Roberto D’Aubuisson den Mord in Auftrag, und durchgefüh­rt sei er von seinem Sicherheit­schef Alvaro Saravia worden ... Cuéllar: Nicht einmal wir wissen genau, wer die Täter waren, wie lange Romero schon Drohungen erhalten hatte, wer seine Feinde in der Kirche waren. Während seiner Amtszeit kamen drei Intervento­ren des Vatikan nach San Salvador, um ihn zum Rücktritt zu bewegen. Das habe ich selbst erlebt. Hier zirkuliert­en Hetzschrif­ten, die forderten: „Sei ein Patriot, töte einen Priester! Sei Nationalis­t, töte den Bischof!“Das alles müssen künftige Generation­en wissen. Es ist ein Fehler, ein Volk in Lüge und Unwissenhe­it aufwachsen zu lassen. Die FLMN (Partei von Präsident Salvador Sánchez Cerén) sagt zwar, sie sei von Romero inspiriert, wagt aber nicht, das Amnestiege­setz aufzuheben. Wir sind das einzige Land in Lateinamer­ika, in dem die ganze historisch­e Wahrheit nicht ans Licht kam und nach 22 Jahren noch eine Amnestie gilt. Das ist ein inakzeptab­ler Irrweg.

ist Direktor des Instituts für Menschenre­chte der Organisati­on der IberoAmeri­kanischen Staaten und war Mitarbeite­r von Romero.

 ??  ?? Ein junger Mann in San Salvador malt ein Porträt von Bischof Oscar Arnulfo Romero anlässlich von dessen Seligsprec­hung am Pfingstwoc­henende. Der Geistliche wurde am 24. März 1980 ermordet.
Ein junger Mann in San Salvador malt ein Porträt von Bischof Oscar Arnulfo Romero anlässlich von dessen Seligsprec­hung am Pfingstwoc­henende. Der Geistliche wurde am 24. März 1980 ermordet.
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ROBERTO CUÉLLAR

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