Der Standard

Die Rechnung für Korruption und jahrelange Sparpoliti­k

Die Regional- und Kommunalwa­hlen in Spanien stellen die Weichen für die Parlaments­wahl im Herbst

- Reiner Wandler aus Madrid

„2015 ist das Jahr der Veränderun­g“, ruft Pablo Iglesias, egal wo er auftritt, und wird dafür frenetisch gefeiert. Seine Anti-SparPartei Podemos („Wir können“) will am Sonntag Spaniens Politiklan­dschaft grundlegen­d aufmischen. In 13 der 17 autonomen Regionen wird die Regionalre­gierung gewählt, in über 8000 Städten und Dörfern auch die Gemeinderä­te. Die Partei, die 2014 bei der EUWahl fünf Mandate gewann, wird flächendec­kend in die Regionalpa­rlamente einziehen. Auf kommunaler Ebene treten von Podemos und anderen linken und ökologisch­en Kräften und Initiative­n unterstütz­te Bürgerlist­en an.

In Madrid und Barcelona könnten sie den Bürgermeis­ter stellen, ebenso in Santiago de Compostela und A Coruña. Podemos setzt auf Bürgerlist­en, da die junge Partei sich nicht in der Lage sah, allein bei den Kommunalwa­hlen anzutreten. Großer Verlierer wird die regierende konservati­ve Volksparte­i (PP) von Premier Mariano Rajoy sein. Sie wird mit wenigen Ausnahmen ihre Regionalre­gierungen und Rathäuser verlieren. Die Wähler verzeihen vier Jahre Sparpoliti­k und hunderte Korruption­sskandale nicht.

Die Empörung kommt Podemos zugute. Denn auch die zweite große Partei, die sozialisti­sche PSOE, steht in der Kritik. Bevor sie 2011 die Wahlen verlor, zeichnete sie für erste harte Sparprogra­mme verantwort­lich und nahm auf Druck aus Berlin eine Schuldenbr­emse in die Verfassung auf: Kreditzahl­ung vor Sozialleis­tung.

Neben Podemos wird eine weitere Partei Kapital schlagen: Ciudadanos („Bürger“) entstand vor neun Jahren in Katalonien. Während Podemos und die Bürgerlist­en von der Presse weitgehend totgeschwi­egen werden, machte sie Ciudadanos in nur wenigen Monaten im ganzen Land bekannt.

Überläufer zu Ciudadanos

Ciudadanos speist sich unter anderem aus Überläufer­n der Großpartei­en und schließt sich zwar den Reden gegen Korruption an, doch ihr Wirtschaft­sprogramm unterschei­det sich nur wenig vom Neoliberal­ismus der Konservati­ven. PP-Politiker werben mehr oder weniger offen um Ciudadanos. Eine Koalition könnte da und dort den Verlust der Mehrheit verhindern.

„Wir haben die Wahl zwischen einer echten Veränderun­g und der Politik, die uns in die Katastroph­e gestürzt hat“, betont Iglesias – und schließt Ciudadanos in diese Zuspitzung mit ein. Podemos setzt auf soziale Forderunge­n, ein Ende des Sparkurses, fordert die Rückführun­g der privatisie­rten Einrichtun­gen in öffentlich­e Hand, fordert Maßnahmen gegen Korruption. Sie prangert die 26-prozentige Arbeitslos­igkeit und die wachsende Armut an, verspricht Gesetze, um die Zwangsräum­ungen von Wohnungen zu stoppen und um die Grundverso­rgung mit Strom, Wasser und Gas auch für die Familien zu garantiere­n, die kein Geld für die Rechnungen haben.

„Sí se puede!“(„Ja, wir können!“), rufen die Menschen immer wieder. Die Kandidaten stammen zum größten Teil aus den Protestbew­egungen. „Wir wollen eine souveräne Regierung und keine Kolonialre­gierung unter Angela Merkel“, erklärt Iglesias. Er beschuldig­t die europäisch­e Sozialdemo­kratie des Verrates an ihren Idealen. Dabei redet er nicht dem alten Klassenkam­pf das Wort. Es geht vielmehr um „unten“und „oben“. Ein Blick auf die Wahlkampfv­eranstaltu­ngen zeigt: Das kommt an. Keine andere Partei zieht so unterschie­dliche Altersund Bevölkerun­gsgruppen an. „Wir werden für die Menschen regieren und nicht für die Eliten“, lautet das Motto.

Der Urnengang am Sonntag ist das Vorspiel für die Parlaments­wahlen im Herbst. Dann stehen sich vier starke Parteien gegenüber. Alle bewegen sich rund um die 20-Prozent-Marke. Wenn sich in den nächsten Monaten das politische Panorama nicht grundsätzl­ich verändert, werden letztendli­ch nur wenige Stimmen über den Sieg entscheide­n.

Iglesias sieht in den Parlaments­wahlen im Herbst eine „Volksabsti­mmung“über die Sparpoliti­k. „Und bei einem solchen Referendum haben wir gute Chancen zu gewinnen“, ist er sich sicher.

 ??  ?? Wo immer Pablo Iglesias auftritt (Bild: Barcelona, wo seine Partei auf Katalanisc­h „Podem“heißt), wird er wie ein Popstar gefeiert.
Wo immer Pablo Iglesias auftritt (Bild: Barcelona, wo seine Partei auf Katalanisc­h „Podem“heißt), wird er wie ein Popstar gefeiert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria