Krieg der Kerne
Der Leiter einer Kontrollstelle wirft steirischen Kürbiskernölbauern professionelle Herkunftsfälschung, Bereicherung und Konsumententäuschung vor. Die Ölkrise beschäftigt die Gerichte. Es geht um das Ansehen namhafter Gütesiegel.
Wien – Einst als Wagenschmiere geschimpft, fließt es heute als steirisches Gold in alle Welt: Was der Feta für Griechenland, der Lebkuchen für Nürnberg und der Prosciutto für Parma, ist das Kürbiskernöl für die Steiermark. Dunkel, zähflüssig und nussig soll es sein. Im Moment freilich vergällt es der Lebensmittelbranche und Agrarpolitik die Laune. Schwere Vorwürfe des Betrugs stehen im Raum, erfuhr der STANDARD. Seit gestern, Mittwoch, beschäftigt die Ölkrise auch die Gerichte. Kern der Erhebungen: Welches Öl ist echt steirisch, was ein billiger Abklatsch?
Den Stein ins Rollen gebracht hat Karl-Peter Pongratz, Leiter des Lebensmittelkontrolleurs SGS, einer der größten Prüfstellen Österreichs. Er stieß bei den steirischen Landwirten im Zuge seiner Kontrollen aus seiner Sicht auf Ungereimtheiten und Missstände, die er auch den Behörden meldete.
Er äußert den Verdacht, dass die Steirer im großen Stil fremde, billige Kerne beimengen wie pressen – und ihr Öl dennoch exklusiv als Steirisches Kürbiskernöl g. g. A. zu entsprechend hohen Preisen vermarkten. Ein Produkt, für das es zudem auch Fördergeld gibt. Das bestehende Kontrollsystem ist seiner Erfahrung nach mangelhaft.
„Ein Luftschloss“
Pongratz spricht von professioneller Herkunftsfälschung, Bereicherung zulasten der Konsumenten und vergleicht das Kontrollmodell mit einem „Luftschloss“.
Zur Erklärung: Die Branche hadert seit langem mit Trittbrettfahrern. Immer wieder beklagen Konsumentenschützer, dass Osteuropa und China kräftig beim schwarzen Gold mitmischen. Ab Jänner seien die steirischen Kerne slowenisch, ab März chinesisch, bemerken Marktkenner trocken.
Um die Spezialität zu retten, hat die EU den Steirern daher die geschützte geografische Angabe genehmigt: Öle, die eine grün-weiße Banderole mit fortlaufender Kontrollnummer tragen, verbindet die Garantie der regionalen Herkunft: Kürbisse dürfen nur in klar definierten Bezirken in der Steiermark, Niederösterreich und Burgenland angebaut werden. Die Ölmühlen müssen steirisch oder zumindest burgenländisch sein.
Der reibungslose Ablauf basiert auf Gutscheinen, die Bauern von der Gemeinschaft Steirisches Kürbiskernöl g. g. A. erhalten. Sie melden ihren Ernteertrag und dürfen die entsprechende Menge des herkunftsgeschützten Öls verkaufen. Pongratz sieht darin ein Tor für Missbrauch: Zu viele Gutscheine seien im Umlauf. Bauern könnten damit günstige ausländische Öle und Fremdkerne zukaufen und als steirische vermarkten. Er hegt den Verdacht, dass Produzenten teils weit höhere Erträge meldeten, als auf den Feldern seien. Bei der Differenz soll es um Tonnen gehen.
Andreas Cretnik, Geschäftsführer der Gemeinschaft Steirisches Kürbiskernöl, wies dies am Mittwoch vor dem Wiener Landesgericht scharf zurück und erläuterte das vierstufige Kontrollsystem für die gut 2500 Kürbiskernproduzenten, darunter 30 Ölmühlen.
Der Verein hat Pongratz und die SGS auf Unterlassung geklagt. Die Vorwürfe seien unwahr, inkriminierend, ungeheuerlich. Sie sorg- ten für massiven wirtschaftlichen Schaden und gefährdeten den Ruf der Branche, so der Tenor der Gemeinschaft. Laut Cretnik habe die SGS zudem seit Mitte 2014 keinen Zertifizierungsvertrag mehr.
Private Prüfstellen werden zumeist von jenen Betrieben bezahlt, die sie kontrollieren. Ein Wechsel des Kontrolleurs ist jederzeit möglich. Die steirische Kürbisbranche hat die Firma Lacon unter Vertrag. SGS Austria stieß später hinzu.
Das Vorjahr war für die Bauern ein mageres. Harte Witterung ließ die Kürbisernte in der Steiermark um die Hälfte einbrechen. Statt 800 Kilo Kerne pro Hektar gaben die Felder laut Wirtschaftskammer weniger als 400 her. Teils gab es Totalausfälle, die Preise zogen nach oben. Experten halten auch in guten Jahren 800 Kilo je Hektar für ambitioniert. Gut drei Kilo Kerne braucht es für den Liter Öl, für sie wiederum 30 bis 40 Kürbisse.
Im fertigen Extrakt nachzuweisen, ob die Kerne aus Österreich, Ungarn oder China stammen, ist anspruchsvoll, dank isotopischer Signaturen jedoch möglich. Forscher des Joanneum Researchs haben einen fertigen Herkunftstest entwickelt, mit Trefferquoten von mehr als 90 Prozent. Für den Einsatz in der Praxis fehle bisher aber das öffentliche Geld, sagt Projektleiter Hermann Katz. Das Interesse privater Betriebe am Test ist gering. Katz ortet in Österreich unabhängig vom Kernöl eine Kultur des Tarnens und Täuschens.
Pongratz wertet die Klage gegen ihn als Versuch, Kritiker mundtot zu machen. Das Verfahren geht im September in die zweite Runde.