„Jeder hat sein Buschmesser und schlägt sich durch“
Sind Kleinstunternehmen Tagelöhner oder ernst zu nehmende Wirtschaftsfaktoren? Wo der Schuh drückt, darüber gehen die Meinungen zwischen Sigrun Saunderson, Mitstreiterin bei den „Amici delle SVA“, dem Jungunternehmer Jürgen Tarbauer, Coach Michl Schwind
STANDARD: Hierzulande tut man sich offenbar schwer, zu entscheiden, wie ernst man Kleinstunternehmen – die sogenannten EPUs, also Ein-Personen-Unternehmen – nehmen soll. Einerseits der Hype um Start-ups, andererseits der Satz vom ehemaligen Wirtschaftskämmerer Fritz Amann, EPUs seien keine Unternehmer, sondern viel eher Tagelöhner. Wo liegt die Wahrheit? Saunderson: In unserer traditionellen Sichtweise haben wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber. EPUs sind aber keines von beiden. Dadurch werden sie entweder nicht ernst genommen, oder sie sind nicht greifbar, was sich oft bei der Wirtschaftskammer zeigt, die für EPUs nicht sehr gut eingerichtet ist. Tarbauer: Sehe ich nicht so. Wir in der Jungen Wirtschaft sehen EPUs genauso wie jedes andere Unternehmen. 60 Prozent sind es auf die Gesamtwirtschaftskammer gerechnet. Das entspricht auch in etwa unserer Mitgliederstruktur. Die Frage „Tagelöhner oder nicht?“stellt sich uns nicht. Wir haben ein sehr gutes Standing in der Wirtschaftskammer, bringen uns als beratendes Mitglied ein und haben schon einiges geschafft. Tatsächlich muss man in vielen Bereichen erst in der Jetztzeit ankommen. Langauer: Mir gefällt schon die Klassifikation EPU nicht. Es gibt kaum Unternehmer, die sofort mit 100 Mitarbeitern anfangen. Die meisten beginnen klein und wachsen, wenn sie wollen, oder eben nicht. Was Herr Amann mit Tagelöhner bezeichnet, bewegt sich in einem sehr kleinen Bereich. Unternehmer wird man eben, weil man etwas unternehmen will. Schwind: Für mich ist die spannende Frage vielmehr, ob wir eher lokales Wirtschaften wollen oder ob man weiter bei den großen Konzernen bleiben will. Wenige Einzelunternehmen werden tatsächlich weltweit agieren, sehr viele aber lokal agieren können. In Österreich will man aber möglichst alles so lassen, wie es ist. Wer gestalten will, wird eher seltsam angeschaut. Gleichzeitig gibt es Trends, wie etwa die kleinen Lokale, kleine Gewerbetreibende, die wieder aufmachen.
STANDARD: Weil sie mangels Job müssen oder weil sie wollen? Saunderson: In der Gruppe Amici delle SVA gibt es sehr viele, die nicht Unternehmer werden wollen. Die – genau wie ich – sagen: Das kann ich gut, dafür will ich auch Geld verdienen. Ohne aufbauen oder größer werden zu wollen. Sehr oft wird mit dem Begriff Unternehmer – auch von Wirtschaftskammerseite – verbunden: selbst verantwortlich, braucht wenig soziale Absicherung, weil man ja nicht arbeitslos wird. Das stimmt für EPUs schon gar nicht. Ein EPU ist mittlerweile auch die Reinigungskraft, sind Alten- und Krankenpflegerinnen. Diese Leute muss man wirklich schon zu Tagelöhnern zählen.
STANDARD: Ist also das Geschäftsmodell EPU eine wirtschaftliche Notwendigkeit oder Zukunftsform? Schwind: Es gibt bei uns ungefähr 270.000 EPUs, davon rund 50 Prozent beim Handwerk, 30 Prozent im Handel und 20 Prozent im Bereich IT, Training und Consulting. Man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Für den Erfolg sind die Fragen entscheidend, was
BEI DER DISKUSSION ZUGEHÖRT HAT: ich will und was ich kann. Das ist ein anderer Zugang, als wenn ich nichts zu tun habe und halt einmal etwas ausprobiere. Begeisterung ist eine große Triebfeder.
STANDARD: Niemand wird widersprechen, dass Leidenschaft eine gute Sache ist. Aber gibt es auch strukturelle Probleme? Langauer: Österreich hat gewisse Rahmenbedingungen, an die wir uns halten müssen. Dass es da auch immer wieder zu Ungerechtigkeiten kommt, liegt in der Natur der Sache. Man kann immer versuchen, die alten Strukturen zu verbessern. Für viel wichtiger halte ich es, die Zukunft nicht kaputtzumachen. Stichwort: Registrierkassenpflicht. Das ist ja ein Wahnsinn, welche Belastung das mit sich bringt. In Italien wurde das schon eingeführt, aber die Wirtschaft dort ist kaputt. Und die Wirtschaftskammer stimmt dabei zu. Stellen Sie sich vor, der Eisverkäufer muss für jede Eiskugel ein Zetterl hergeben. Das lässt sich ja fast nicht organisieren. Tarbauer: Registrierkassenpflicht ist bei uns kein brennendes Thema. Ich war bei einem Neugründer im Gastrobereich, der sieht das überhaupt nicht als Problem. Viel wichtiger ist es derzeit, an Finanzierungen ranzukommen. Da haben wir etwa das Crowdfunding-Gesetz durchgeboxt. Und wir haben uns auch der Transparenz bei der Sozialversicherung gewidmet. Es gab ja lange das Problem, dass man nach drei Jahren eine Nachzahlung bekam. Jetzt erfährt man in einer Zeile, was einen erwarten wird.
STANDARD: Crowdfunding ist eine Möglichkeit, an Geld zu kommen. Wie sieht es, davon abgesehen, in Sachen Finanzierung aus? Langauer: Um eine gute Idee umzusetzen, braucht man auch einmal einen Kredit. Ich mache zu 90 Prozent meine Geschäfte interna- tional. Für Unternehmer – egal ob klein, mittel, oder groß – ist der Zugang zu Finanzierung ohne Sicherheiten eigentlich nicht mehr möglich. Abgesehen von dem vielgepriesenen Crowdfunding. Wenn Sie heute zu einer Bank gehen und sagen, Sie brauchen 500.000 Euro, dann brauchen Sie 600.000 Euro Sicherheiten. Aber wenn ich so viele Sicherheiten habe, brauche ich auch kein Geld. Sie können von einem privaten Risikokapitalgeber, den Sie kennen, etwas ausborgen. Aber was die Banken betrifft, so war die in Abrede gestellte Kreditklemme in Wahrheit noch nie so groß wie jetzt. Saunderson: Nicht jedes EPU braucht Geld. Was viele EPUs brauchen, ist Berücksichtigung im System Sozialsicherung und bei den Steuern. Wenn ein EPU eine schlechte Phase hat, ist es tot. Das kann schnell gehen, wenn ich etwa meinen größten Kunden verliere. Ich kann freiwillig eine Arbeitslosenversicherung abschließen, wenn ich mir das leisten kann. Und ein EinPersonen-Unternehmer kann den Gewerbeschein zurückgeben, falls man einen hat, dann akzeptiert ihn das AMS. Damit tut man sich aber schwer beim Wiederaufstehen. Tarbauer: Das hat etwas mit freier Marktwirtschaft zu tun. Sie wollen Sonderschutz für EPUs. Saunderson: Keinen Sonderschutz, aber ein Sozialsystem, das Menschen eine gewisse Sicherheit gibt, dass sie Unterstützung von der Gemeinschaft bekommen, wenn alles den Bach runtergeht. Schwind: Meiner Beobachtung zufolge liegt das größte Problem, das die EPUs haben, ganz woanders: Jeder hat sein Buschmesser und schlägt sich seinen Weg durch den Dschungel. Es geht darum, ein Netzwerk zu entwickeln, zu mehr Kunden, Kontakten und Projekten zu kommen. Eine Empfehlung bekomme ich nur über Netzwerke. Gemeinsam großartige Dinge zu tun halte ich für die wichtigste Idee. Der wesentliche Punkt: Ich muss dafür rausgehen. Proaktiv sein. Das ist Unternehmertum.
STANDARD: Es gibt diverse Förderinstrumente: Start-up-Programme, Unterstützung bei der Anstellung des ersten Mitarbeiters. Brauchen wir mehr davon? Müssten sie einfacher zugängig sein? Schwind: Es gibt einiges. Allerdings ist der Zugang oft unglaublich komplex. Da braucht es dann einen Ein-PersonenUnternehmer, der Förderberater ist. Ich habe den Eindruck, dass vieles liegen bleibt, weil der Zugang so kompliziert ist. Die Beantragung von Fördermitteln zu vereinfachen wäre sicher hilfreich. Tarbauer: Es gibt extrem viele Förderungen von sehr vielen Organisationen. Da muss man wissen, in welchen Fördertopf man hineinfällt. Die Unterlagen sind teilweise tatsächlich nicht einfach auszufüllen. Der Hintergrund ist natürlich auch, dass die Förderungen nicht den falschen Empfängern zukommen. Die Wirtschaftskammer hat dafür den Fördermanager. Der hilft dabei, das alles zu durchschauen. Langauer: Ich habe einmal für eine Messe in Amerika eine Förderung beantragt. Das war eine unglaublich komplizierte und langwierige Angelegenheit. Alleine hätte ich das niemals zusammengebracht. Die Mitarbeiter bei der Wirtschaftskammer waren auch sehr bemüht und hilfreich. Am Ende habe ich auch etwa 2000 Euro bekommen. Aber mich interessiert das Thema nicht mehr. Nicht dass ich es nicht brauchen könnte, aber ich investiere meine Zeit lieber woanders. Tarbauer: Für mich war es als Unternehmer am zeitintensivsten, eine Parkkarte in Wien zu bekommen. Das hat den Aufwand für den Förderantrag um Welten geschlagen. Da wollen wir es jetzt schaffen, dass wir Carsharing vorsteuerabzugsfähig machen. STANDARD: Wir hören derzeit sehr oft, dass der Standort Österreich verbesserungswürdig ist. Irgendwelche Ideen? Schwind: Wir brauchen eine andere Einstellung zum Scheitern. Wenn man in Amerika nicht fünfmal gescheitert ist, hat man nichts probiert. Es braucht auch ein Bewusstsein dafür, was die Kleinen für das lokale Leben tun können, und dafür, dass man lieber beim Kleinen kauft als beim Großen. Langauer: Wichtig wäre, dass man endlich die Zwangsmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer abstellt. Bei der Arbeiterkammer genauso. Diese Zwangsbeglückung hat einfach keiner nötig. Die Kammerumlage ist eine Menge Geld. Saunderson: Das sehe ich genauso. Wenn die Interessenvertretungen etwas leisten, werden sie viele Mitglieder haben. Die Zwangsmitgliedschaft ist besonders für EPUs eine Belastung, die mehrere Gewerbescheine lösen müssten, weil sie vielleicht Grafik plus Text und noch ein bisschen IT-Beratung anbieten. Die brauchen dann drei Gewerbescheine. Ich will und brauche von der Wirtschaftskammer nichts. Tarbauer: Ich gebe zu bedenken, dass die großen Einzahler die großen Konzerne sind. Würden die EPUs oder Kleinunternehmen nicht drin sein, dann würde das die Vertretung der großen Konzerne werden. Saunderson: schon so. Tarbauer: Nein, das ist definitiv nicht so. Ich würde mich doch nicht ehrenamtlich engagieren, wenn das so wäre. Schwind: Ich schmunzle, wenn man eine Forderung an andere stellt, in Bezug auf die eigene Vertretung. Wenn ich etwas anderes haben möchte, kümmere ich mich darum, dass mich jemand vertritt. Warum schafft es eine Gruppe von 270.000 Mitgliedern nicht, ihre eigene Standesvertretung zu entwickeln? Die Ökologiebewegung hat auch ihre Standesvertretung entwickelt, daraus sind dann irgendwann einmal die Grünen geworden. Raus aus der Komfortzone!
Das
ist doch
jetzt
SIGRUN SAUNDERSON (49) lebt als selbstständige Texterin und Journalistin am Neusiedler See. Daneben engagiert sie sich in der Initiative „Amici delle SVA“für ein gerechteres Sozialversicherungssystem für Selbstständige.
JÜRGEN TARBAUER (33) ist der Vorsitzende der Jungen Wirtschaft Wien. Selbstständig seit seinem 19. Lebensjahr. Begonnen hat er als EPU, mittlerweile ist er Arbeitgeber und Geschäftsführer der Omnes-Marketingagentur.
UDO LANGAUER (50), gründete das Auktionshaus Austria Auction Company und sattelte zum Auktionator um. Davor arbeitet er für zahlreiche Auktionshäuser im Ausland (u. a. Sotheby’s London) und führte über 30 Jahre in dritter Generation den Teppichhandel seines Großvaters.
MICHL SCHWIND (53) ist BusinessCoach und Networking-Experte. Er arbeitet in den Bereichen Strategieplanung, Human Ressources und Teambildung und berät EPUs und KMUs.
Wenn Sie heute zu einer Bank gehen
und sagen, Sie brauchen 500.000 Euro, dann brauchen Sie 600.000 Euro an
Sicherheiten. Nicht jedes EPU braucht Geld. Was viele brauchen, ist die Berücksichtigung bei den Steuern
und in der Sozialversicherung .