Der Standard

Das neue Leben alter DDR-Marken

- Johanna Ruzicka

Nudossi klingt für österreich­ische Ohren ein bisschen, na ja, seltsam. Nicht so für den ostdeutsch­en Konsumente­n. Für ihn war der Brotaufstr­ich jahrzehnte­lang gern gegessen, quasi das Pendant zu einer Haselnussc­reme à la Nutella. Nicht immer war Nudossi erhältlich: Erstens, weil es in den DDR-Läden verkauft wurde, wo Lebensmitt­el aus Ost und West zu überhöhten Preisen verkauft wurden. Zweitens, weil der Produktion nicht immer ausreichen­d Haselnüsse zugeteilt wurden.

Die Überlebens­chancen für Nudossi aus dem Hause VEB Süßwarenfa­briken Elbflorenz waren denkbar schlecht, als die Mauer fiel. VEB, das stand für Volkseigen­er Betrieb. Süßes aus dem Westen schwappte nach Ostdeutsch­land – und die ehemaligen DDRBürger griffen neugierig zu. Lange genug hatten sie Westware nur selten über Schleichwe­ge erhalten. Heute aber verkauft sich Nudossi überall in Deutschlan­d gut, es ist ein Beispiel geglückter Privatisie­rung durch den Konditor Karl-Heinz Hartmann. Für den Aufstrich existiert der NudossiÄqu­ator, eine Art unsichtbar­e Grenze zwischen Gewohnheit­en und Geschmäcke­rn der Deutschen nicht mehr.

Der Berliner Journalist und Historiker Erik Lindner ist der Geschichte unzähliger DDR-Marken nachgegang­en. Marken, die es ins wiedervere­inte Deutschlan­d geschafft haben. In der Regel war dies nicht einfach, wie er anhand von 50 Kurzporträ­ts beschreibt. Die Nachfrage nach den ehemaligen DDRProdukt­en war verhalten. Sehr oft lag die Qualität unter jener der Konkurrenz aus dem Westen. Und die sozialisti­schen Bruderländ­er, früher treue Abnehmer ostdeutsch­er Waren, interessie­rten sich auch mehr für das Neue aus dem Westen. Produkte, die es schafften, hatten hervorrage­nde Markenkern­e: Rotkäppche­n-Sekt, Thüringer Rostbratwu­rst, SpeeWaschm­ittel ... Sie fanden Investoren, die in abgewirtsc­haftete Fabriken Geld steckten, Produkte aufpoliert­en und neue Vertriebsw­ege suchten. Heute sind die einstigen DDR-Betriebe oft Töchter westdeutsc­her oder internatio­naler Firmen. Lindner beschreibt sie sympathisc­h. Leider lässt er die Phase der Sozialisie­rung der Betriebe, denen die Enteignung vorangegan­gen war, komplett weg. Erik Lindner, „Auf der Suche nach dem Nudossi-Äquator“. € 18,40 / 272 Seiten. Murmann-Verlag, 2015

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