Der Standard

Griechenla­nd geht pleite: Viel Furcht, wenig Fakten

Was geschieht, wenn Athen seinen Zahlungspf­lichten einmal nicht nachkommt – Bankrott, Euroexit? Muss nicht sein. Ein vorübergeh­ender Ausfall dürfte verkraftba­r sein. So die Politik will.

- András Szigetvari

ANALYSE: Wien – Die Warnung vor der Pleite Griechenla­nds ist zur fixen Begleitmus­ik der Verhandlun­gen zwischen Athen und seinen Geldgebern geworden. Bei jeder anstehende­n Zahlung wird inzwischen darüber spekuliert, ob die Griechen noch genug Geld zusammenkr­atzen können. Zuletzt haben deutsche Medien die Pleite für den 12. Mai vorhergesa­gt. Davor hätte es am 6. Mai und am 9. April so weit sein sollen.

Dabei kam die von Syrizia geführte Regierung bisher all ihren Verpflicht­ungen nach. Warum also die Schreckens­meldungen?

Griechenla­nd verhandelt derzeit mit der früheren Troika (EUKommissi­on, IWF und Europäisch­e Zentralban­k) über neue Darlehen. Frisches Geld soll nur fließen, wenn Athen mit Reformen und Kürzungen weitermach­t.

Die bisher letzte Kredittran­che aus dem Ausland erhielt Athen im August 2014. Ob dem Staat deshalb wirklich bald das Geld ausgeht oder die Pleitegerü­chte gestreut werden, ist von außen kaum zu beurteilen. Richtig ist, dass Syriza-Vertreter bereits selbst sagen, dass es für sie zusehends schwerer wird, Geld aufzustell­en.

Zugleich haben der griechisch­e Vizeaußenm­inister und TroikaChef­verhandler Euclid Tsakalotos kürzlich beschriebe­n, dass es Teil der Strategie von Athens Geldgebern ist, Pleiteszen­arien zu streuen. Industriel­änder wie Griechenla­nd müssen fast wöchentlic­h hunderte Millionen Euro Schulden rückzahlen. Die Troika habe in der Vergangenh­eit öfter behauptet, Athen entgleite das CashManage­ment. Damit wollten sie versuchen, die Gespräche zu beschleuni­gen, um mehr Konzession­en zu bekommen, so Tsakalotos.

Interessan­t ist aber auch die Frage, was geschieht, wenn Griechenla­nd einmal wirklich eine Zahlung auslässt. Fürchten sich alle zu Recht? Auch hier gibt es keine einfache und klare Antwort.

Zur Ausgangsla­ge: Griechenla­nd muss bis Ende Juli zwei Schuldner ausbezahle­n. Da sind einmal die griechisch­en Banken, die viele kurzfristi­ge Darlehen an Athen vergeben haben. Die Rückzahlun­g hier läuft simpel ab: Im Gegenzug für alte Darlehen bekommt der Staat neue. Dieser Kreislauf ist aus Sicht des Staates und der Banken wichtig – hier sollte also nicht viel schiefgehe­n.

Spannender wird die Frage, ob Athen den IWF weiterhin bezahlen kann. Im Juni muss Griechenla­nd 1,54 Milliarden Euro an den Fonds überweisen. Zahlungste­rmine sind am 5., 12. und am 19. Juni. Was geschieht, wenn Syriza einen Termin verpasst? Aus Sicht des IWF vorerst nicht viel: Regeln des Fonds zwingen ihn dazu, einen Monat lang zu warten, ehe er einen Zahlungsau­sfall erklärt. „In der Geschichte des Fonds ist es nicht außergewöh­nlich, dass Länder Rückzahlun­gen versäumen und Nachfriste­n bekommen“, sagt Raoul Ruparel, vom Londoner Thinktank Open Europe.

Totaler Ausfall

Entscheide­nd sei daher, ob der Fonds weiterhin bereit wäre, mit Athen zu kooperiere­n, um einen neuen Zahlungspl­an festzulege­n, sagt Ruparel. Er selbst glaubt daran: „Der IWF bekommt sein Geld ja auch nicht zurück, wenn er die Kooperatio­n verweigert.“

Viele Experten sagen trotzdem, dass ein Zahlungsau­sfall sofort fatal wäre, und zwar wegen der „cross default clauses“. Solche Klauseln legen fest, dass alle Schuldsche­ine eines Landes automatisc­h fällig gestellt werden, wenn der Staat auch nur eine einzige Zahlung nicht leistet.

Tatsächlic­h beinhalten alle griechisch­en Schuldsche­ine, die von Banken, Versicheru­ngen und Fonds gehalten werden, seit 2012 solche Klauseln. Etwa 60 Milliarden Euro an Staatspapi­eren aus Hellas halten private Geldgeber. Werden sie alle über Nacht fällig gestellt, droht wirklich Chaos.

Kein Downgrade

Doch der IWF ist laut den Schuldsche­inen nicht von den erwähnten Klauseln erfasst. Wenn Athen den Währungsfo­nds nicht bezahlt, bleiben die übrigen Schulden unberührt. Selbst die Ratingagen­turen würden Griechenla­nd nicht auf die niedrigste Bonitätsst­ufe („Default“) abstufen, sagt Douglas Renwick von der Agentur Fitch. Dies würde nur geschehen, wenn Athen seine privaten Geldgeber nicht ausbezahlt. Das kann aber nicht vor 2019 passieren. Erst dann werden an sie Rückzahlun­gen fällig. Bis 2020 werden auch Kredite der übrigen Euroländer nicht fällig – auch hier droht also kein Problem.

Eine Schwierigk­eit betrifft die Notkredite der EZB an Athen. Die griechisch­en Banken kommen am Markt nicht mehr zu Geld. Abhil- fe schafft allein die Nationalba­nk in Athen: Sie darf mit Genehmigun­g der EZB frische Kredite an griechisch­e Banken vergeben. Seit Wochen wird der Rahmen dafür erhöht – aktuell steht er bei 80 Milliarden Euro. Medial ist immer wieder spekuliert worden, dass die Eurozentra­lbank das Programm abdrehen wird, wenn Griechenla­nd eine Zahlung nicht leistet. Verpflicht­end wird die EZB dazu aber in keinem Papier. Die Führung der Zentralban­k in Frankfurt müsste entscheide­n. So wie sie das bisher auch schon wöchentlic­h tut, wenn sie immer neue Notkredite genehmigt.

EZB entscheide­t

Notenbanke­r aus der Eurozone sagen, dass die EZB diese Kreditlini­e nicht abdrehen will. Denn dies wäre das Ende des Euro in Griechenla­nd „und das will nicht ausgerechn­et die EZB verantwort­en“, wie ein führender Notenbanke­r sagt, der anonym bleiben will.

Es ist also gut möglich, dass selbst wenn Griechenla­nd eine Zahlung im Juni wirklich auslässt, zunächst rein gar nichts passiert.

Eine Lösung müsste politisch gefunden werden. Größter Geldgeber Athens sind die Euroländer über den sogenannte­n Rettungssc­hirm. Dieser kann laut Statuten nun wirklich entscheide­n, dass alle griechisch­en Schulden sofort fällig sind, wenn Athen eine Zahlung verpasst. Aber das müssten die Finanzmini­ster beschließe­n. Einen Pleiteauto­matismus gibt es nicht.

 ??  ?? 1,54 Milliarden Euro muss Griechenla­nd im Juni an den Internatio­nalen Währungsfo­nds zurückzahl­en.
Ob das gelingen kann, ist fraglich.
1,54 Milliarden Euro muss Griechenla­nd im Juni an den Internatio­nalen Währungsfo­nds zurückzahl­en. Ob das gelingen kann, ist fraglich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria