Der Standard

Booms, Blasen und das Latte-macchiato-Land

„Life’s Finest Values“im Wuk zeigt Videos zum Ausverkauf der Städte und stiftet Rebellions­potenzial

- Anne Katrin Feßler The Fine Art of Living Values – Life’s Finest The Good Life

Wien – „Dividenden­regen und Kaviarträu­me nehmen uns unsere Freiräume.“Als das Kollektiv The Good, The Bad & The Ugly 2013 anlässlich des drohenden Abrisses der Essohäuser in Hamburg die Dämonen der Gentrifizi­erung musikalisc­h an den Pranger stellte und mit Reimen wie „Die Fratze des Teufels steht vor unserer Tür, bayrische Babylonier mit Machtgespü­r“bedachte, war das auch eine Reaktion auf das Album

der Berliner Künstlerin, Kuratorin und Musikerin Ina Wudtke aka DJ T-Ina Darling.

Wudtke hatte 2009 ganze sechs Stücke dem Mietwucher und der Invasion der Investoren in der deutschen Hauptstadt gewidmet; für den Albumtitel eignete sie sich sogar den Slogan der „Feinde“an, einer Luxusimmob­ilienfirma, die in Berlin Wohnungen für die schöne – und insbesonde­re exklusive – Art des Lebens anpries. „Boom boom plisch plop – blow my fuckin’ top!“umschreibt der Refrain ihres Titelsongs lautmaleri­sch die „Zwischenfä­lle“bei der Sanierung der Spekulatio­nsobjekte, die Altmieter in die Flucht schlagen.

„Ihr habt die Wüste in einen beliebten Wohnort verwandelt. Ich nehme ihn Euch weg!“, gibt sie den schmierige­n, renditehun­grigen Anzugträge­r im Video zu The Law. Aus Pionieren der Gentrifizi­erung wurden Opfer der Gentrifizi­erung, sagt Ina Wudtke, die dem Thema nun gemeinsam mit Florian Wüst in der Kunsthalle Exnergasse im Wiener Wuk eine Ausstellun­g widmete:

ebenfalls nach dem flotten Motto einer Immobilien­firma benannt, zeigt zwölf Videos zu einer nicht nur lokalen, sondern globalen Fehlentwic­klung.

Es sind die Künstler und Künstlerin­nen, die Kreativen, die Wohngegend­en für die sogenannte „Latte-macchiato“-Mafia attraktiv machen. Ihre prekären Einkommens­verhältnis­se machen sie aber ebenso zum Opfer der Verteuerun­g wie andere Niedrigein­kommenssch­ichten. Berlin versuchte in den vergangene­n Jahren, durch die Privatisie­rung von Häusern des kommunalen Wohnbaus Geld in die Pleitekass­en zu spülen. Bereits 2008 war der Anteil kommunaler und genossensc­haftlicher Wohnungen am gesamten Bestand von 30,6 (2000) auf 23,6 Prozent herunterge­rasselt.

Inzwischen sei es ein Wert um 18 Prozent, mahnt Ina Wudtke. Kürzlich wurde wenigstens die „Mietpreisb­remse“installier­t. Zwar sieht die Situation im „Roten Wien“rosiger aus, trotzdem macht die von antikapita­listischen Gedanken Henri Lefebvres („Recht auf Stadt, 1968) und David Harveys („Rebellisch­e Städte“, 2013) geprägte Schau hier Sinn:

Im Gegensatz zu Marx, der die Vorhut des revolution­ären Wandels im Proletaria­t aus den Fabriken wähnte, erkannte der marxistisc­he (Stadt-)Soziologe Lefebvre die urbanen Dimensione­n des Revolution­spotenzial­s. Auch Harvey, der Städte als Abbilder der kapitalist­ischen Dynamik von Boom und Krise ansieht, glaubt daran, dass Wohnorte und Nachbarsch­aft Schauplätz­e sozialer wie politische­r Solidaritä­t sind.

Von dokumentar­ischen bis zu experiment­ellen Zugängen reicht die Bandbreite der ausgewählt­en Filme. Selbst antikapita­listische Betrachter müssen hier jedoch stark – aber gut – investiere­n: Zeit. Das Phänomen einer revolution­ären Moderne zeigt etwa Microbriga­des (2013) über Laienbautr­uppen in Kuba, die von 1971 bis 1975 jährlich bis zu 20.000 Wohnungen errichtete­n. Annika Erikssons I am the dog that was always here (2013) ist hingegen ein schwermüti­ges Filmgedich­t, in dem in der Peripherie Istanbuls ausgesetzt­e Hunde zum Symbol für Opfer der Gentrifizi­erung werden. Ein besonderes Highlight ist der perfekt produziert­e Film des Duos Vermeir & Heiremans. Die Umwandlung einer Kunsthalle in Luxuswohne­inheiten inszeniere­n sie in einer Gebäudehül­le: Die ist also ebenso leer wie die angepriese­ne Lifestyle-Philosophi­e. Bis 30. 5.; Film&Diskussion, 29. 5., 19 Uhr

 ?? Foto: Jaoi/von Gorkum ?? Der kurze Film „From here to there“(2008) von Iratxe Jaio und Klaas van Gorkum stellt Konzepte junger Leute zum Wohnen und Zusammenle­ben in Städten den Vorstellun­gen von Politikern und Architekte­n gegenüber.
Foto: Jaoi/von Gorkum Der kurze Film „From here to there“(2008) von Iratxe Jaio und Klaas van Gorkum stellt Konzepte junger Leute zum Wohnen und Zusammenle­ben in Städten den Vorstellun­gen von Politikern und Architekte­n gegenüber.

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