IS kontrolliert mehr als die Hälfte Syriens
Nach der Einnahme der Stadt Palmyra durch den IS in der Nacht zum Donnerstag wächst die Sorge um das Schicksal der 50.000-Einwohner-Stadt und ihrer antiken Kunstschätze. Für den IS ist es auch strategisch ein bedeutender Schlag gegen das Assad-Regime.
Damaskus/Bagdad – Einen Tag nach dem Fall der syrischen Oasenstadt Palmyra an die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) sorgte die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag mit einer weiteren Meldung für Aufsehen: Rund die Hälfte des syrischen Territoriums soll mittlerweile vom IS kontrolliert werden, hieß es in der Mitteilung.
Dass diese Zahl in etwa den Tatsachen entsprechen dürfte, bestätigten danach auch mehrere Ex- perten, die allerdings zu bedenken geben, dass die Zahl ein wenig in die Irre führe: Bei großen Teilen des Territoriums handle es sich um strategisch wenig bedeutende Wüstengebiete, nicht aber um die großen Bevölkerungszentren Syriens. Trotzdem: Dass der IS zuletzt bedeutende Erfolge erzielte, wird auch daran deutlich, dass Palmyra die erste syrische Stadt war, die die Miliz direkt vom Assad-Regime übernahm.
Neben dem symbolischen Wert hat die Eroberung für den IS auch militärischen Sinn: In der Umgebung von Palmyra/Tadmur befinden sich wichtige Militäreinrichtungen, etwa ein Flughafen und eine Geheimdienstzentrale.
Die Stadt liegt außerdem an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, der sie mit der Stadt Homs und der rund 210 Kilometer entfernten syrischen Hauptstadt Damaskus verbindet, die beide zu größten Teilen von der Armee gehalten werden. Die Einnahme von Palmyra erschwert den AssadTruppen nun die Versorgung mit Nachschub und eröffnet dem IS zugleich Wege in beide Städte.
Außerdem nahmen die Kämpfer der Terrormiliz laut Meldungen vom Donnerstag auch noch mindestens zwei Gasfelder ein, die bisher vom Regime gehalten worden waren. Weitere Öl- und Gaseinrichtungen befinden sich unweit der Stadt. Sie sind auch für die Energieversorgung der von der Regierung gehaltenen Gebiete im Westen Syriens zentral.
„Totale Mobilisierung“
Die Chefin der UN-Kulturorganisation Unesco, Irina Bokowa, äußerte sich am Donnerstag „sehr besorgt“über den IS-Vormarsch in der Stadt. Sie forderte die internationale Gemeinschaft zu einer „totalen Mobilisierung“auf, um eine mögliche Zerstörung der antiken Stätten zu verhindern.
Über deren Schicksal war am Donnerstag vorerst wenig bekannt. Die zitierte einen Bewohner von Palmyra, der davon sprach, dass es bei den Kämpfen der vergangenen Tage bereits beträchtliche Schäden ge- geben habe. Der namentlich nicht genannte Mann kritisierte auch die Konzentration der Medien auf die Altertümer. Immerhin habe es bei den Kämpfen zuletzt über hundert Tote gegeben. Insgesamt lebten in der Stadt vor Ausbruch des Krieges 50.000 Menschen, in den vergangenen Monaten kamen noch tausende Flüchtlinge dazu.
Im Irak liefen auch am Donnerstag die Pläne für eine Rückeroberung der Stadt Ramadi durch die Armee. Kämpfe gab es vorerst aber vor allem in deren Umgebung. Nach eigenen Angaben haben regierungstreue Kräfte beim Militärstützpunkt Habbaniya einen Vorstoß des IS zurückgeschlagen. Von dort aus soll die geplante Gegenoffensive der Regierung koordiniert werden. (red) p Interview derStandard.at/Syrien