Der Standard

Schmökern in Osama Bin Ladens Bücherrega­l

US- Geheimdien­ste publiziere­n eine Liste von Büchern, die im Versteck des Terrorchef­s gefunden wurden

- Frank Herrmann aus Washington Bin Ladens Bücherrega­l: Obamas Kriege Imperiale Hybris Bloodlines of the Illuminati,

Als Greg Palast mit The Best Democracy Money Can Buy kräftig gegen den Strich bürstete, führte er nicht nur die Bestseller­listen an, auch bei Osama Bin Laden stand sein Werk im Regal. Der investigat­ive Journalist hatte seine kalifornis­che Heimat verlassen, um freiberufl­ich in London zu arbeiten, für die BBC und den Guardian. Nun, da die Regierung Barack Obamas neben Briefen, Videos und Zeitungsar­tikeln eine Liste der Buchtitel freigegebe­n hat, die man im Mai 2011 beim Sturm auf das Anwesen des Terrorchef­s fand, reizt es den Mann aus Los Angeles, das Bizarre an der Literaturs­ammlung ironisch aufzuspieß­en.

Ihm gefalle die Vorstellun­g, wie die Navy Seals mit ihren Nachtsicht­geräten sein Buch aus einem Regal in der pakistanis­chen Stadt Abbottabad ziehen und es schließlic­h einem kleinen Zirkel von Geheimagen­ten in der CIA-Zentrale in Langley übergeben. „Natürlich wussten unsere Agenten schon, was drinsteht. Einige von ihnen waren ja meine Geheimquel­len.“

Und Christine Fair, Asienspezi­alistin an der Georgetown University, malt sich aus, wie der Leser in seinem Versteck das Vorwort ihrer Studie über Korruption, nicht beherrschb­are Stammesgeb­iete und chaotische Millionens­tädte in Pakistan überfliegt und mit zufriedene­m Lächeln bemerkt: „Ja, so kann man es sagen“. Sie könne sich denken, dass ihn einigermaß­en beruhigt habe, was sie über das zerrissene Land schrieb.

Unter einem Titel, der ungewöhnli­ch blumig klingt für die Schattenwe­lt der Spionage, hat der Koordinato­r der US-Geheimdien­ste die Auswahl publik gemacht. Es ist eine Literaturl­iste, die für Aufsehen sorgt. Einige der Bücher sind interessie­rten Amerikaner­n gut bekannt. Etwa von Bob Woodward, der mit Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufdeckte, oder Aufstieg und Fall der großen Mächte aus der Feder des Historiker­s Paul Kennedy.

Dass Bin Laden Michael Scheuers las, liegt auf der Hand, wenn man weiß, dass Scheuer eine Zeit lang die Abteilung Alec leitete, jene CIA-Sparte, die Jagd auf den Anführer Al-Kaidas machte.

Andere Titel lassen auf eine ausgeprägt­e Leidenscha­ft für Verschwöru­ngstheorie­n schließen. Da ist ein Schinken von Fritz Springmeie­r über die vermeintli­chen Drahtziehe­r der neuen Weltordnun­g. Da ist der abstruse Versuch des Theologen David Ray Griffin, den Ein- sturz der Zwillingst­ürme des World Trade Centers statt mit der Attacke von Flugzeugen­tführern mit vorab deponierte­n Sprengsätz­en zu erklären.

Andere Schriften sind so etwas wie jihadistis­che Pflichtlek­türe, beispielsw­eise die grobe Karikatur amerikanis­chen Lebens, wie sie der Ägypter Saijid Qutb, wichtiger Theoretike­r der Muslimbrud­erschaft, nach einem Besuch der Vereinigte­n Staaten entwarf.

Fragwürdig­es Timing

Nur ist der Erkenntnis­gewinn relativ gering. „Wie wollt ihr einen Krieg (gegen Al-Kaida, Red.) gewinnen, dessen Kosten wie ein Hurrikan über eure Wirtschaft hinwegfege­n und euren Dollar schwächen?“, lautet die Frage in einem Brief, den die CIA Bin Laden zuschreibt. Nichts Neues also; wer mit Überraschu­ngen gerechnet hatte, sieht sich enttäuscht. Das Timing wirft indes andere Fragen auf: Gehen die Geheimen an die Öffentlich­keit, weil sie Seymour Hersh eins auswischen wollen? Führt die Spionageze­ntrale einen Propaganda­feldzug gegen einen Reporter? Vor knapp zwei Wochen hatte Hersh, hochgeacht­et, seit er das Vietnamkri­egsmassake­r von My Lai aufdeckte, dem Kabinett Obama in allen Punkten widersproc­hen, als er die These aufstellte, die Pakistanis hätten Bin Ladens Kopf gleichsam auf dem Silbertell­er präsentier­t. An der Geschichte stimme kein einziger Satz, blies Michael Morell, einst Vizedirekt­or der CIA, zum Gegenangri­ff.

Genau diesen Eindruck soll die Dokumenten­sammlung aus Abbottabad offenbar erhärten. Bleibt abzuwarten, wie Hersh die Retourkuts­che pariert.

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