Heurigenkultur und „irrsinnige Grundstückspreise“
Durchzugsverkehr, Heurigensterben und Bausünden prägen das Döblinger Salmannsdorf. Eine Kulturinitiative, die sich von der Stadt vernachlässigt fühlt, erstellt nun selbst ein Leitbild für das Grätzel.
Wien – „Na des is oarg“, ruft Wolfgang Burkart, während er einen Bebauungsplan studiert. Neben dem Bauingenieur im Ruhestand steht Erich Bramhas – Architekt, ebenfalls im Ruhestand – und schüttelt den Kopf: „Warum malen ’s das so hässlich an?“, fragt er rhetorisch nach einem Blick auf ein kürzlich erbautes, mehrstöckiges Wohnhaus. Die „exorbitanten Bausünden“in Salmannsdorf und Neustift am Walde sind den beiden ein Dorn im Auge.
Weitere Mitstreiter der „Kulturinitiative Neustift-Salmannsdorf“haben sich in der Rathstraße in Wien-Döbling versammelt. Es wird aufgeregt diskutiert. Jeder möchte zu Wort kommen. Man verliert sich in Details über Flächenwidmungen und Bauvorschriften. Einig ist man sich, dass die zwei Stadtviertel im Wiener Nordwesten seit Jahrzehnten von der Stadt vernachlässigt werden.
Den Durchzugsverkehr empfinden die Grätzelbewohner als eines der größten Probleme. Die zweispurige Rathstraße wird auch von Lkws häufig befahren. Die lärmenden Gefährte trennt nur ein schmaler Gehsteig von den Häusern. Und die Situation verschlim- mere sich: Immer mehr Leute ziehen ins Grätzel, morgens werden bis zu 300 Kinder auf einmal mit dem Auto in die örtlichen Kindergärten geführt, sagt Elisabeth Eischer. Die Stadt führe aber weder Kfz-Zählungen noch CO - oder Lärmpegelmessungen durch. Dabei wünschten sich die Anrainer das „Dorf in der Stadt“zurück, so Eischer, der als Heurigenwirtin noch ein anderes Thema am Herzen liegt: Sie ist um die Heurigenkultur besorgt.
Um 1970 gab es im Stadtviertel noch rund 60 Heurige, heute sind es neun; zwei weitere sperren bald zu. Immobilienfirmen wür- den zwar mit „Wohnen am Weinberg“werben, aber viele der neuen Eigentümer störten sich dann am Lärm, erzählt Eischer. Manche Wirte seien gezwungen, ihre Schanigärten um 18 Uhr zu schließen, was große Umsatzeinbußen mit sich bringe: „Die Leute geben auf.“Die „irrsinnigen Grundstückspreise“seien mitverantwortlich – viele verkaufen teuer, anstatt sich mit Lärmbeschwerden und Umsatzeinbußen zu plagen.
Die Heurigenromantik im Grätzel werde aber auch durch die Neubauten zerstört, meint Erich Bramhas und zeigt etwa auf ein Leitbild für Salmannsdorf
14. Teil eckiges Haus mit Glasfront. Obwohl viele Straßenzüge unter den städtischen Ensembleschutz fallen, „kann man bauen, was man will“– das gelte zumindest für große Baufirmen. Den ortsansässigen Eigentümern erhaltenswerter Bürger- oder Jugendstilhäuser werde es umso schwerer gemacht: Weil Sanierungen bürokratisch und teuer sind, verfallen die Häuser, was wiederum ein Nährboden für Immobilienspekulation sei.
Biegt man von der Rathstraße aus nach rechts ein, gelangt man in die Dreimarksteingasse, „eine der schönsten Straßen Wiens“, meint Bramhas. Dort entspricht die Atmosphäre eher dem, was man von einem Döblinger Stadtviertel erwartet: Es ist ruhig und
begrünt, die Gasse ist gepflastert, die alten Bürgerhäuser sind entsprechend adaptiert. Doch auch hier könnten die Grundstücke irgendwann Spekulanten in die Hände fallen, befürchten Bramhas und Burkart.
Die Kulturinitiative erstellt derzeit ein Leitbild, um die Lebensqualität in Neustift und Salmannsdorf zu verbessern: Die verkehrsbelastete Rathstraße etwa soll eine Flaniermeile werden, und die Bebauungspläne sollen dem Erhalt des Ortsbildes dienen. Bramhas zeigt sich siegessicher, was das Durchsetzen des Leitbildes gegenüber der Stadt betrifft: „Wir werden gewinnen.“p Engagierte Anrainer im Videointer
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