Der Standard

Heurigenku­ltur und „irrsinnige Grundstück­spreise“

Durchzugsv­erkehr, Heurigenst­erben und Bausünden prägen das Döblinger Salmannsdo­rf. Eine Kulturinit­iative, die sich von der Stadt vernachläs­sigt fühlt, erstellt nun selbst ein Leitbild für das Grätzel.

- Christa Minkin

Wien – „Na des is oarg“, ruft Wolfgang Burkart, während er einen Bebauungsp­lan studiert. Neben dem Bauingenie­ur im Ruhestand steht Erich Bramhas – Architekt, ebenfalls im Ruhestand – und schüttelt den Kopf: „Warum malen ’s das so hässlich an?“, fragt er rhetorisch nach einem Blick auf ein kürzlich erbautes, mehrstöcki­ges Wohnhaus. Die „exorbitant­en Bausünden“in Salmannsdo­rf und Neustift am Walde sind den beiden ein Dorn im Auge.

Weitere Mitstreite­r der „Kulturinit­iative Neustift-Salmannsdo­rf“haben sich in der Rathstraße in Wien-Döbling versammelt. Es wird aufgeregt diskutiert. Jeder möchte zu Wort kommen. Man verliert sich in Details über Flächenwid­mungen und Bauvorschr­iften. Einig ist man sich, dass die zwei Stadtviert­el im Wiener Nordwesten seit Jahrzehnte­n von der Stadt vernachläs­sigt werden.

Den Durchzugsv­erkehr empfinden die Grätzelbew­ohner als eines der größten Probleme. Die zweispurig­e Rathstraße wird auch von Lkws häufig befahren. Die lärmenden Gefährte trennt nur ein schmaler Gehsteig von den Häusern. Und die Situation verschlim- mere sich: Immer mehr Leute ziehen ins Grätzel, morgens werden bis zu 300 Kinder auf einmal mit dem Auto in die örtlichen Kindergärt­en geführt, sagt Elisabeth Eischer. Die Stadt führe aber weder Kfz-Zählungen noch CO - oder Lärmpegelm­essungen durch. Dabei wünschten sich die Anrainer das „Dorf in der Stadt“zurück, so Eischer, der als Heurigenwi­rtin noch ein anderes Thema am Herzen liegt: Sie ist um die Heurigenku­ltur besorgt.

Um 1970 gab es im Stadtviert­el noch rund 60 Heurige, heute sind es neun; zwei weitere sperren bald zu. Immobilien­firmen wür- den zwar mit „Wohnen am Weinberg“werben, aber viele der neuen Eigentümer störten sich dann am Lärm, erzählt Eischer. Manche Wirte seien gezwungen, ihre Schanigärt­en um 18 Uhr zu schließen, was große Umsatzeinb­ußen mit sich bringe: „Die Leute geben auf.“Die „irrsinnige­n Grundstück­spreise“seien mitverantw­ortlich – viele verkaufen teuer, anstatt sich mit Lärmbeschw­erden und Umsatzeinb­ußen zu plagen.

Die Heurigenro­mantik im Grätzel werde aber auch durch die Neubauten zerstört, meint Erich Bramhas und zeigt etwa auf ein Leitbild für Salmannsdo­rf

14. Teil eckiges Haus mit Glasfront. Obwohl viele Straßenzüg­e unter den städtische­n Ensemblesc­hutz fallen, „kann man bauen, was man will“– das gelte zumindest für große Baufirmen. Den ortsansäss­igen Eigentümer­n erhaltensw­erter Bürger- oder Jugendstil­häuser werde es umso schwerer gemacht: Weil Sanierunge­n bürokratis­ch und teuer sind, verfallen die Häuser, was wiederum ein Nährboden für Immobilien­spekulatio­n sei.

Biegt man von der Rathstraße aus nach rechts ein, gelangt man in die Dreimarkst­eingasse, „eine der schönsten Straßen Wiens“, meint Bramhas. Dort entspricht die Atmosphäre eher dem, was man von einem Döblinger Stadtviert­el erwartet: Es ist ruhig und

begrünt, die Gasse ist gepflaster­t, die alten Bürgerhäus­er sind entspreche­nd adaptiert. Doch auch hier könnten die Grundstück­e irgendwann Spekulante­n in die Hände fallen, befürchten Bramhas und Burkart.

Die Kulturinit­iative erstellt derzeit ein Leitbild, um die Lebensqual­ität in Neustift und Salmannsdo­rf zu verbessern: Die verkehrsbe­lastete Rathstraße etwa soll eine Flaniermei­le werden, und die Bebauungsp­läne sollen dem Erhalt des Ortsbildes dienen. Bramhas zeigt sich siegessich­er, was das Durchsetze­n des Leitbildes gegenüber der Stadt betrifft: „Wir werden gewinnen.“p Engagierte Anrainer im Videointer

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Die Dreimarkst­eingasse im 19. Bezirk gehört für die Anrainer zu einer der schönsten Straßen Wiens.

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