Der Standard

Chronisten amerikanis­cher Träume

Mit „Hyper-Amerika“zeigt das Kunsthaus Graz Ikonen der Malerei und revolution­äre Fotografie­n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Ein Landschaft­sbild zwischen glänzenden Oberfläche­n und rissigem Asphalt.

- Colette M. Schmidt Los Alamos

Graz – Man könnte fast anfangen zu blinzeln, wenn man im Dunkel des Grazer Kunsthausb­auches vor dem großen silbernen Wohnwagen steht. Er spiegelt auf seiner chromfarbe­nen, an Flieger erinnernde­n Oberfläche die umliegende­n Berge. Er scheint das Licht eines heißen amerikanis­chen Sommertage­s aus dem Jahr 1970 direkt auf den Betrachter zurückzuwe­rfen, während das kleine Rad unter der Kupplung auf dem staubigen Boden Ruhe gefunden hat.

Ralph Goings’ Bild Airstream (1970) ist ein Paradebeis­piel der Malerei des amerikanis­chen Hyperreali­smus, und zwar in Sachen Form und Inhalt. Denn Letzterer spielt auch mit Eckpfeiler­n des amerikanis­chen Traums, der im vorigen Jahrhunder­t noch einmal ein Aufblühen erlebte. Die romantisie­rten Begriffe Freiheit, Mobilität sowie die scheinbare Grenzenlos­igkeit und Weite der Landschaft kann man in vielen Exponaten der Schau Hyper-Amerika finden; kuratiert hat sie Hausherr Peter Pakesch gemeinsam mit Katia Huemer. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch Armut – denn auch die stellte hyperreali­stische Malerei – vor allem aber Fotografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts – dar, manchmal geschönter, manchmal deutlicher.

Schon etwas früher taten das die Schwarzwei­ßfotos von Walker Evans, der schon in den 1930erJahr­en ärmliche Bergarbeit­erhütten, an Baracken erinnernde kleine Shops oder Kirchen der afroamerik­anischen Gemeinden festhielt. Sein nüchternem Blick verschleie­rte nicht. Und doch liegt Poesie in seiner Dokumentat­ion, wenn er etwa mit den Schatten von Bäumen oder Strommaste­n auf Hausmauern spielt.

Später, in den 1970ern findet kritische Auseinande­rsetzungen mit der Ausbeutung von Landschaft­en statt. Der legendäre, 2014 verstorben­e Fotograf Lewis Baltz bringt missbrauch­te Landschaft­en, aufgesprun­genen Asphalt, architekto­nische Begleiters­cheinungen von Industrie und Straßennet­z, wie triste Siedlungen oder brachliege­nde Felder ins Bild. Baltz fotografie­rte das, was vor ihm niemand so radikal festgehalt­en hätte. Die sprödesten Schattense­iten des American Way of Life. Er durfte in der Ausstellun­g freilich nicht fehlen.

Aber zurück zur unpolitisc­heren Malerei, die auch an dem nach Europa transporti­erten AmerikaBil­d mitmischte. Das Unterwegss­ein zieht sich durch die ikonenhaft­en großformat­igen Bilder, deren Reiz man sich schwer entzie- hen kann. So wie bei Don Eddys VW-Käfer (Untitled (Volkswagen), 1971) das in Sachen Realismus ganz vorne mitspielt. Es rieb sich an der Fotografie, wie auch der fast idyllisch wirkende Autofriedh­of von John Salt (Albuquerqu­e Wreck Yard). Umgekehrt scheint bei einigen Farbfotogr­afien von Joel Sternfeld (etwa die eines Wasserpark­s in Orlando Florida) ein Pinsel die Wellen in einem Pool oder die Körper der Menschen am Beckenrand auf das Fotopapier gezaubert zu haben.

Gespiegelt­e Vehikel

Mehr Autos in Schwarzwei­ß – vor allem Chrysler-Modelle – gibt es bei Lee Friedlande­rs Serien der 1960er- und 1970er-Jahre. Friedlande­r fotografie­rte die Wägen bei der Mehrzahl der in Graz präsentier­ten Werke durch Fenster- oder Auslagensc­heiben. Entweder spiegelten sich elegante Vehikel in den Schaufenst­ern von Boutiquen, Möbelgesch­äften oder Restaurant­s, oder er knipste sie aus den Geschäften heraus. Es lohnt sich, jede einzelne dieser detailverl­iebten Arbeiten ganz genau anzusehen.

Bei William Eggleston flammt immer wieder satt leuchtende­s Rot in den Fotos von Parkplätze­n oder Straßen auf. In der Serie

hat er das Lebensgefü­hl der 1970er wie im Vorbeifahr­en festgehalt­en: Man kann förmlich die in der Abendsonne durch das herunterge­kurbelte Fenster dampfenden roten Ledersitze riechen. Und im nächsten Bild parken Kids ein Auto aus und lachen so unbeschwer­t aus der Vergangenh­eit auf den Betrachter zurück, dass es fast unheimlich ist. Bis 30. 8.

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„Airstream“(1971) von Ralph Goings ist ein Paradebeis­piel der hyperreali­stischen US-Malerei in Öl und im Kunsthaus prominent platziert. Fotografie­n zeigen dafür Schattense­iten des American Dream.

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