Der Standard

Kunst, fast schöner als das Leben

Sächsische Staatskape­lle Dresden mit Thielemann im Musikverei­n

- Stefan Ender Meistersin­ger- In tem-

Wien – „Thielemann gut. Verdammt gut!“, titelte der verstorben­e ehemalige STANDARDKu­lturchef Peter Vujica 2001 in seinem Bericht über die Premiere in Bayreuth. Was soll man da noch hinzufügen, außer dass der gute Herr Thielemann die vergangene­n 14 Jahre bienenflei­ßig daran gearbeitet hat, noch verdammt viel besser zu werden.

So, wie der 56-Jährige da mit der Sächsische­n Staatskape­lle Dresden am ersten von zwei Gastspiela­benden im Musikverei­n Bruckner (die Neunte) spielte: Das war eine Liga für sich, da kommt sonst keiner hin. Die Berliner Philharmon­iker mit Rattle etwa und Bruckners Siebter, Anfang Mai an selber Stelle: fantastisc­h, und doch nicht derart differenzi­ert, sinnlich und reich gestaltet. Das war ganz große Kunst, die einem den Atem raubte, weil sie in jedem Augenblick im Leben fußt und doch fast noch schöner scheint als das Leben selbst.

Christian Thielemann steht im Zenit seines Könnens. War in seiner Arbeit in der Vergangenh­eit mitunter ein Gran zu viel an herrischer Willensdem­onstration, Steifheit und Kontrolle, so findet sich nun alles in idealer Balance: Gelassenhe­it, Konzentra- tion, Genauigkei­t, Freiheit, Intensität und Transparen­z. Mit den Dresdner Musikern agierte der Berliner in perfekter Symbiose; das Opernorche­ster musizierte enorm kantabel, mit balletttän­zerischem Feingefühl.

Und so tat sich ein Reichtum an Gefühlssch­attierunge­n auf, der mit Worten kaum zu beschreibe­n ist, von Farbnuance­n, die so schön in keinem Gemälde, in keinem botanische­n Garten zu finden sind. Es gab Pianissimi, zart und licht wie das Erwachen eines Morgens, da waren Phrasierun­gen, die einem sanften Streicheln gleichkame­n.

Minikritik: Die Cellogrupp­e setzte sich ob ihrer zerrissene­n Platzierun­g nur unzureiche­nd durch; der Beginn des ersten AdagioThem­as war nichtssage­nd sachlich. Und die Wiener Philharmon­iker haben beim Abstieg im d-Moll-Tumult des Scherzos den besseren, weil widerborst­igeren Bogenstric­h: siebenmal Aufstrich.

Im ersten Teil vermochte das zweite Violinkonz­ert von Sofia Gubaidulin­a, pus praesens, trotz Richard-Strauss-nahen Budenzaube­rs nur bedingt zu fasziniere­n: Über das fleckerlte­ppichhafte Werk vermochte auch Gidon Kremers intensive Interpreta­tion keinen Bogen zu spannen. Viel Applaus nach der Neunten – und doch auch viel zu wenig.

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