Der Standard

Videos von Polizeigew­alt sind eine Chance

Öffentlich­e Kritik soll dazu beitragen, den Korpsgeist in der Exekutive aufzubrech­en

- Reinhard Kreissl

Der Skandal, so schreibt Karl Kraus, beginnt immer erst dann, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet. Ähnlich verhält es sich mit den zuletzt vieldiskut­ierten robusten polizeilic­hen Amtshandlu­ngen. Sie sind dank ubiquitäre­r Videoüberw­achung und der Verbreitun­g der neuen sozialen Medien wie Youtube und Facebook öffentlich sichtbar. Ein Mobiltelef­on mit Videokamer­a vor Ort genügt, und schon gilt: „The whole world’s watching!“

Eine bisher geübte Praxis ist plötzlich publik geworden, damit gerät auch die Polizei unter Begründung­sdruck. Der Einsatz von Gewalt gehört zum polizeilic­hen Alltag. Manchmal ist er überschieß­end, manchmal Mittel der Wahl, oft Ausdruck von Hilflosigk­eit und mangelndem Können. Und es gilt auch hier: kein Schaden ohne Nutzen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich allumfasse­nde Videoüberw­achung auch gegen diejenigen wendet, die sie immer gefordert haben.

Vielleicht kommt das Innenminis­terium mit dem Vorschlag, das Filmen polizeilic­her Amtshandlu­ngen zu verbieten – zuzutrauen wäre das den dortigen Juristen. Vielleicht aber stärkt die unerwartet­e großflächi­ge Veröffentl­ichung jenen Kräften in der Polizei den Rücken, die sich für eine moderne, bürgernahe, menschenre­chtskonfor­me Sicherheit­sarbeit einsetzen. Diese Kräfte gibt es; man sollte nicht vergessen, dass die Polizei kein monolithis­cher Block rechtslast­iger Schlägerty­pen ist.

Die Gründe für polizeilic­hes Fehlverhal­ten sind bekannt: mangelnde Ausbildung, Überforder­ung, männerbünd­lerisches Selbstmiss­verständni­s, mangelnde Fehlerkult­ur. Die eigentlich­e Aufgabe besteht jetzt darin, die Polizei an die öffentlich­e Kandare zu nehmen und den nach wie vor – gerade hierzuland­e – herrschend­en Korpsgeist aufzubrech­en.

Öffentlich­e Kritik an Polizeigew­alt ist notwendig, doch sollte man darauf achten, dass sie an den richtigen Stellen ansetzt. Eine Pauschalve­rurteilung der Polizei als Prügelband­e fördert eher den problemati­schen inneren Zusammenha­lt, statt jene zu unterstütz­en, die für eine Polizei als den gesellscha­ftlichen Frieden sichernde Menschenre­chtsorgani­sation eintreten. Das Sichtbarwe­rden polizeilic­her Gewalt ist eine Chance, die sich die Zivilgesel­lschaft nicht entgehen lassen sollte.

REINHARD KREISSL leitet das Vienna Center for Societal Security (Vicesse).

Newspapers in German

Newspapers from Austria