EU will Staaten als Anreiz 6000 Euro pro Flüchtling zahlen
Hotelbesitzer in Österreich nehmen Flüchtlinge auf, Länder handhaben private Angebote unterschiedlich
Brüssel – Die EU-Kommission versucht, den Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Flüchtlingen finanziell schmackhaft zu machen. Am Mittwoch wurde ein Plan präsentiert, wonach 40.000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Eritrea nach einem bestimmten Schlüssel aus Italien und Griechenland in die anderen Länder der Union gebracht werden sollen. Pro Asylwerber sollen die Staaten dafür dann 6000 Euro bekommen.
Ein durchaus großzügiges Angebot: In Österreich erhält ein Quartiergeber derzeit 19 Euro pro Tag und Flüchtling für Unterkunft und Verpflegung. Mit dem EU-Angebot wären also die Kosten für über 300 Tage gedeckt. Nach den EU-Plänen sollte Österreich drei Prozent der Betroffenen aufnehmen, das sind 1213 Menschen. Weitere 20.000 Flüchtlinge sollen auf UN-Vorschlag ebenso in der EU verteilt werden; das will sich die Kommission 50 Millionen Euro kosten lassen. (red)
Das Hotel Sonnenhof im steirischen Greinbach beherbergt 48 Asylwerber. Der Alltag mit Wiener Pensionisten war zuvor weniger herausfordernd, sagt die Hotelchefin. Die Fremden würde man im Dorf fast nicht bemerken.
Greinbach – Die Stühle im Foyer sind zurechtgerückt. Die weißen Sitzpolster glänzen. Genau dort sollte man seinen Nachmittagskaffee trinken. Neben dem Eingang des Dreisternehotels Sonnenhof in der Oststeiermark hängt die Speisekarte. „Naturnahe Küche“liest man, dazu der Hinweis, dass im Familienbetrieb auch Produkte aus der eigenen Landwirtschaft zubereitet werden. Steirisches Backhendl, Beiriedschnitte, Schweinsfischerl oder Forellenfilet stehen im Menü.
Drinnen im Gasthaus gibt es an diesem Abend nur eine Hauptspeise: selbstgemachte Pizza. Der Gastraum ist dennoch mit fast 50 Gästen sehr gut gefüllt. „À la carte ist bei sieben Euro Essensgeld pro Tag und Asylwerber für drei Mahlzeiten nicht drin“, sagt Hotelchefin Josefa Thurner, während ein syrisches Mädchen um einen Nachschlag bittet. Dem wird gerne nachgekommen.
Der schmucke Eingangsbereich des Hotels, die Rezeption, die Speisekarte: Das alles sind Relikte aus erst kürzlich vergangenen Zeiten. Im Oktober 2014 haben die Thurners beschlossen, in ihrem seit 1971 bestehenden Familienbetrieb nahe Hartberg auch Asylwerber unterzubringen. Ein Vertrag mit dem Land Steiermark wurde unterschrieben.
Wiener auf Sommerfrische
Dem Hotel war zuvor altersbedingt immer mehr die treue Kundschaft abhandengekommen: Wiener Pensionisten, die um 36,50 Euro pro Tag mit Vollpension auf dem Land verwöhnt wurden. Der Verlust ließ sich mit hiesigen Gästen nicht abfedern. Für die Asylwerber gibt es 19 Euro pro Tag für Unterkunft und Vollverpflegung.
Das ist die eine, finanzielle Seite der Geschichte. Die andere ist, dass das händeringend nach Unterkunftsmöglichkeiten suchende Land sofort 25 Asylwerber geschickt hat. „Es ist von null auf 100 losgegangen“, sagt Josefa Thurner. Eine Einschulung, wie mit den Gästen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Ukraine umzugehen sei, bekam man nicht. Vergangene Woche wurden weitere Asylwerber geschickt, damit hält der Familienbetrieb aktuell bei 48. „Beamte haben angerufen und sich bei uns bedankt.“
Neben Josefa und Ehemann Alois helfen die erwachsenen Kinder Patrick, Alexander und Bettina mit. In der Küche arbeiten zwei Vollzeitbeschäftigte, ein CaritasMitarbeiter unterstützt nach Bedarf. Der Alltag mit den Asylwerbern sei herausfordernder als der mit Touristen, sagt Josefa Thurner. Die durchzuführende Anwesenheitskontrolle sei nur ein Beispiel. „Viele kennen ihre Rechte in Österreich genau. Das betrifft medizinische Versorgung genauso wie die Schulpflicht. Wenn ihr Kind zwei Tage nach der Ankunft noch keiner Schule zugewiesen wurde, wird das eingefordert.“
Dazu gilt es kulturell bedingte Friktionen aus dem Weg zu räumen. Die Müllproblematik im Haus löste Alexander Thurner unbürokratisch. „Ich habe Zettel aufgepickt, wo auf Arabisch zu lesen war, dass der Müll nicht im Haus gelagert werden soll. Die Übersetzung erledigte Google Translate.“Erst vor wenigen Tagen spielte sich folgende Geschichte ab: Eine Asylwerberin war im Spital, bei ihren drei Kindern wurden Läuse entdeckt. „Die Entlausung habe ich erledigt“, erzählt Alexander. „Weil das keiner der Asylwerber machen wollte.“
Bei der Entscheidung, Asylwerber aufzunehmen, „muss man den positiven Hintergrund in den Vordergrund stellen“, sagte Josefa Thurner. Denn Leistungen, wie dass Alexander um Mitternacht aus dem Bett geklingelt wird, um einen Kurzschluss zu reparieren, würden nicht extra vergütet. Und Patrick, Arzt für Allgemeinmedizin, hilft bei kleineren und größeren Wehwehchen.
Anspruch auf Deutschkurse haben die Asylwerber nicht. Insofern ist es mit der Integration in das dörfliche Leben schwierig. Andererseits kommen nur selten Einheimische in das Gasthaus. „Wir sind bemüht, dass sich in der Bevölkerung kein Unmut entwickelt“, sagt Josefa Thurner. Wer Asyl erhält, würde sofort nach Wien aufbrechen. Bis dahin würde man die Fremden im Dorf fast nicht bemerken.
76 Asylwerber im Ort
Das ist bemerkenswert, weil im kleinen Ort mit 1800 Einwohnern derzeit 76 Asylwerber untergebracht sind: 150 Meter vom Sonnenhof entfernt haben im Gasthaus Grebitschitscher-Dzien weitere Asylwerber Unterschlupf gefunden. „Mit den Asylwerbern gibt es keine Probleme“, sagt Bürgermeister Siegbert Handler (ÖVP). „Die Bevölkerung sieht, dass man wegen der Flüchtlingsproblematik helfen muss.“
Dennoch sei man an den Kapazitätsgrenzen angelangt. In seiner Gemeinde Greinbach müsste man wegen der Kinder aus Asylwerberfamilien im Kindergarten und in der Schule aufstocken. „Denn wenn die Einheimischen das Gefühl bekommen, dass ihre Kinder nicht mehr genug betreut werden, könnte die Stimmung kippen.“