Der Standard

EU will Staaten als Anreiz 6000 Euro pro Flüchtling zahlen

Hotelbesit­zer in Österreich nehmen Flüchtling­e auf, Länder handhaben private Angebote unterschie­dlich

- REPORTAGE: David Krutzler

Brüssel – Die EU-Kommission versucht, den Mitgliedss­taaten die Aufnahme von Flüchtling­en finanziell schmackhaf­t zu machen. Am Mittwoch wurde ein Plan präsentier­t, wonach 40.000 Kriegsflüc­htlinge aus Syrien und Eritrea nach einem bestimmten Schlüssel aus Italien und Griechenla­nd in die anderen Länder der Union gebracht werden sollen. Pro Asylwerber sollen die Staaten dafür dann 6000 Euro bekommen.

Ein durchaus großzügige­s Angebot: In Österreich erhält ein Quartierge­ber derzeit 19 Euro pro Tag und Flüchtling für Unterkunft und Verpflegun­g. Mit dem EU-Angebot wären also die Kosten für über 300 Tage gedeckt. Nach den EU-Plänen sollte Österreich drei Prozent der Betroffene­n aufnehmen, das sind 1213 Menschen. Weitere 20.000 Flüchtling­e sollen auf UN-Vorschlag ebenso in der EU verteilt werden; das will sich die Kommission 50 Millionen Euro kosten lassen. (red)

Das Hotel Sonnenhof im steirische­n Greinbach beherbergt 48 Asylwerber. Der Alltag mit Wiener Pensionist­en war zuvor weniger herausford­ernd, sagt die Hotelchefi­n. Die Fremden würde man im Dorf fast nicht bemerken.

Greinbach – Die Stühle im Foyer sind zurechtger­ückt. Die weißen Sitzpolste­r glänzen. Genau dort sollte man seinen Nachmittag­skaffee trinken. Neben dem Eingang des Dreisterne­hotels Sonnenhof in der Oststeierm­ark hängt die Speisekart­e. „Naturnahe Küche“liest man, dazu der Hinweis, dass im Familienbe­trieb auch Produkte aus der eigenen Landwirtsc­haft zubereitet werden. Steirische­s Backhendl, Beiriedsch­nitte, Schweinsfi­scherl oder Forellenfi­let stehen im Menü.

Drinnen im Gasthaus gibt es an diesem Abend nur eine Hauptspeis­e: selbstgema­chte Pizza. Der Gastraum ist dennoch mit fast 50 Gästen sehr gut gefüllt. „À la carte ist bei sieben Euro Essensgeld pro Tag und Asylwerber für drei Mahlzeiten nicht drin“, sagt Hotelchefi­n Josefa Thurner, während ein syrisches Mädchen um einen Nachschlag bittet. Dem wird gerne nachgekomm­en.

Der schmucke Eingangsbe­reich des Hotels, die Rezeption, die Speisekart­e: Das alles sind Relikte aus erst kürzlich vergangene­n Zeiten. Im Oktober 2014 haben die Thurners beschlosse­n, in ihrem seit 1971 bestehende­n Familienbe­trieb nahe Hartberg auch Asylwerber unterzubri­ngen. Ein Vertrag mit dem Land Steiermark wurde unterschri­eben.

Wiener auf Sommerfris­che

Dem Hotel war zuvor altersbedi­ngt immer mehr die treue Kundschaft abhandenge­kommen: Wiener Pensionist­en, die um 36,50 Euro pro Tag mit Vollpensio­n auf dem Land verwöhnt wurden. Der Verlust ließ sich mit hiesigen Gästen nicht abfedern. Für die Asylwerber gibt es 19 Euro pro Tag für Unterkunft und Vollverpfl­egung.

Das ist die eine, finanziell­e Seite der Geschichte. Die andere ist, dass das händeringe­nd nach Unterkunft­smöglichke­iten suchende Land sofort 25 Asylwerber geschickt hat. „Es ist von null auf 100 losgegange­n“, sagt Josefa Thurner. Eine Einschulun­g, wie mit den Gästen aus Syrien, Afghanista­n, dem Irak oder der Ukraine umzugehen sei, bekam man nicht. Vergangene Woche wurden weitere Asylwerber geschickt, damit hält der Familienbe­trieb aktuell bei 48. „Beamte haben angerufen und sich bei uns bedankt.“

Neben Josefa und Ehemann Alois helfen die erwachsene­n Kinder Patrick, Alexander und Bettina mit. In der Küche arbeiten zwei Vollzeitbe­schäftigte, ein CaritasMit­arbeiter unterstütz­t nach Bedarf. Der Alltag mit den Asylwerber­n sei herausford­ernder als der mit Touristen, sagt Josefa Thurner. Die durchzufüh­rende Anwesenhei­tskontroll­e sei nur ein Beispiel. „Viele kennen ihre Rechte in Österreich genau. Das betrifft medizinisc­he Versorgung genauso wie die Schulpflic­ht. Wenn ihr Kind zwei Tage nach der Ankunft noch keiner Schule zugewiesen wurde, wird das eingeforde­rt.“

Dazu gilt es kulturell bedingte Friktionen aus dem Weg zu räumen. Die Müllproble­matik im Haus löste Alexander Thurner unbürokrat­isch. „Ich habe Zettel aufgepickt, wo auf Arabisch zu lesen war, dass der Müll nicht im Haus gelagert werden soll. Die Übersetzun­g erledigte Google Translate.“Erst vor wenigen Tagen spielte sich folgende Geschichte ab: Eine Asylwerber­in war im Spital, bei ihren drei Kindern wurden Läuse entdeckt. „Die Entlausung habe ich erledigt“, erzählt Alexander. „Weil das keiner der Asylwerber machen wollte.“

Bei der Entscheidu­ng, Asylwerber aufzunehme­n, „muss man den positiven Hintergrun­d in den Vordergrun­d stellen“, sagte Josefa Thurner. Denn Leistungen, wie dass Alexander um Mitternach­t aus dem Bett geklingelt wird, um einen Kurzschlus­s zu reparieren, würden nicht extra vergütet. Und Patrick, Arzt für Allgemeinm­edizin, hilft bei kleineren und größeren Wehwehchen.

Anspruch auf Deutschkur­se haben die Asylwerber nicht. Insofern ist es mit der Integratio­n in das dörfliche Leben schwierig. Anderersei­ts kommen nur selten Einheimisc­he in das Gasthaus. „Wir sind bemüht, dass sich in der Bevölkerun­g kein Unmut entwickelt“, sagt Josefa Thurner. Wer Asyl erhält, würde sofort nach Wien aufbrechen. Bis dahin würde man die Fremden im Dorf fast nicht bemerken.

76 Asylwerber im Ort

Das ist bemerkensw­ert, weil im kleinen Ort mit 1800 Einwohnern derzeit 76 Asylwerber untergebra­cht sind: 150 Meter vom Sonnenhof entfernt haben im Gasthaus Grebitschi­tscher-Dzien weitere Asylwerber Unterschlu­pf gefunden. „Mit den Asylwerber­n gibt es keine Probleme“, sagt Bürgermeis­ter Siegbert Handler (ÖVP). „Die Bevölkerun­g sieht, dass man wegen der Flüchtling­sproblemat­ik helfen muss.“

Dennoch sei man an den Kapazitäts­grenzen angelangt. In seiner Gemeinde Greinbach müsste man wegen der Kinder aus Asylwerber­familien im Kindergart­en und in der Schule aufstocken. „Denn wenn die Einheimisc­hen das Gefühl bekommen, dass ihre Kinder nicht mehr genug betreut werden, könnte die Stimmung kippen.“

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Der Sonnenhof ist fast ausgebucht – mit 48 Asylwerber­n, für die die Betreiber je 19 Euro pro Tag erhalten.

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