Skandal erschüttert den Fußball
Sieben Funktionäre in Haft, Hausdurchsuchung bei Fifa
Zürich – Zwei Tage vor der Präsidentenwahl des Fußball-Weltverbands in Zürich wurden sieben hochrangige Fifa-Funktionäre von der Kantonspolizei Zürich festgenommen. Die US-Justiz wirft ihnen organisiertes Verbrechen, Be- trug, Geldwäsche und Bestechung vor und beantragt ihre Auslieferung. Gleichzeitig untersuchten Schweizer Behörden wegen der WM-Vergaben 2018 und 2022 das Fifa-Hauptquartier. (red)
Zürich, Mittwochmorgen. Gegen 5.30 Uhr rücken Kantonspolizisten in das Hotel Baur au Lac ein. Das Bundesamt für Justiz schickt die „Kapos“. Ihr Auftrag: Sie sollen in der Nobelherberge am Zürichsee sieben Top-Funktionäre des Weltfußballverbandes Fifa festnehmen – wegen Bestechungsverdachts in Höhe von mehr als 100 Millionen US-Dollar. Die spektakuläre Aktion steigt zwei Tage vor der geplanten Wiederwahl des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter.
Die Polizisten führen die Funktionäre durch einen Seitenausgang ab – hinter Leintüchern, die Hotelangestellte hochhalten. Die Festgenommenen kommen in Auslieferungshaft. In den USA warten Strafverfahren. Am selben Morgen steuern Beamte der Schweizer Bundesanwaltschaft den pompösen Hauptsitz der Fifa hoch über Zürich an. Sie stellen im „Home of Fifa“elektronische Daten und Dokumente sicher. Es geht um den Verdacht der Bereicherungen und der Geldwäscherei rund um die seit jeher umstrittenen Vergaben der Fußball-WM- Endrunden 2018 in Russland sowie 2022 in Katar.
Es ist ein Mittwoch, der als ein schwarzer Tag in die Geschichte der 1904 gegründeten Fifa eingehte. Der Doppelschlag von Zürich erschüttert die Fußballwelt. Der brasilianische Fifa-Experte Jamil Chade wäre nicht verblüfft, wenn „das Ende von Sepp Blatter als allmächtiger Fifa-Präsident eingeläutet wird“.
Sepp Blatter. Das ist der jovial wirkende 79-jährige Schweizer aus dem Wallis. Er verkörpert wie kein anderer ein System der Günstlingswirtschaft, ein System des Gebens und Nehmens, ein System der Verschleierung. Kurz, das System Blatter. Blatters Unter- gebene aber versuchen noch einmal die filmreifen Polizei- und Justizeinsätze, die Machenschaften der Fußballbosse, all die Peinlichkeiten herunterzuspielen. Zur Verfassung seines Chefs sagt FifaKommunikationsdirektor Walter De Gregorio auf einer Pressekonferenz Mittwochmittag: „Er ist relaxed.“Der Stressfaktor sei aber „ein kleines bisschen höher als gestern“.
Der geplante Fifa-Kongress werde selbstverständlich diese Woche in Zürich stattfinden, und Blatter, seit 1998 im Amt, werde sich natürlich am Freitag zur Wahl für die fünfte Periode stellen. Der „Präsident“, so hält De Gregorio fest, sei ja nicht festgenommen worden und in die Vorfälle „nicht involviert“. De Gregorio: „Nichts wird uns stoppen.“
Die Fifa macht weiter wie bisher. Blatter, der sich gerne als „Vater des Fußballs“titulieren lässt, setzt bei der anstehenden Wahl auf seine Gefolgsleute in den 209 Mitgliedsverbänden, vor allem auf die Blatter-Anhänger aus Latein- amerika, der Karibik und Afrika. „Blatter kann nicht von der Macht lassen“, erläutert Fifa-Experte Chade. „Selbst auf dem absoluten Tiefpunkt der Fifa-Historie betrachtet er sich als unangefochten.“Blatters einzig verbliebener Gegenkandidat bei dem Votum über den nächsten Fifa-Chef aber dürfte Morgenluft wittern: Es ist der jordanische Prinz Ali bin Al Hussein.
Diplomatisch geschickt nennt er den Mittwoch einen „traurigen Tag für den Fußball”. Bis Dienstag galt der Prinz eigentlich nur als Zählkandidat, andere Bewerber wie der frühere Superkicker Luís Figo aus Portugal hatten sich aus dem Rennen gegen Blatter verabschiedet. Auch die Unterstützer des letzten Gegenkandidaten, zumal in den europäischen Fußballverbänden, hoffen auf einen Stimmungsumschwung in letzter Minute. Man dürfe den Milliarden Fußballfans nicht weiter eine schamlose Gaunerclique im Weltverband zumuten.
Besonders schwer wiegen die Vorwürfe gegen die jetzt Festgenommenen. Darunter befinden sich prominente Blatter-Getreue, wie Jeffrey Webb, Fifa-Vizepräsident und Boss der Nord- und Zentralamerikanischen und karibischen Fußballkonföderation Concacaf. Die Concacaf-Zentrale in Miami wurde ebenfalls durchsucht. Auch Eugenio Figueredo aus Uruguay kam in Zürcher Auslieferungshaft.
US-Behörden hatten auf die Verhaftungen gedrängt. Die für den Bezirk Ost von New York zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Fußball-Bosse wegen möglicher Annahme von Bestechungsgeldern und verdeckten Provisionen. Sportmedien und Sportvermarktungsunternehmen sollen Funktionäre mit mehr als 100 Millionen Dollar bestochen haben. Im Gegenzug sollen sie die Medien-, Vermarktungs- und Sponsoring-Rechte bei der Austragung von Turnieren in den USA und Lateinamerika erhalten haben. Das Schmiergeld fließt laut den Ermittlern seit Beginn der 1990er.
In dem zweiten Verfahren, das zur Aktesicherstellung am Fifa-Sitz in Zürich führte, wollen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei der Schweiz zehn „Personen“vorladen, die als Mitglieder des FifaExekutivkomitees die WM-Vergaben von 2018 und 2022 mit einfädelten. Die Fifa hatte im November 2014 selbst Strafanzeige gegen unbekannt gestellt – und tritt jetzt als „Geschädigte“auf. Man begrüße die Untersuchungen, erklärte De Gregorio mit unbewegter Miene. Für das Image der Fifa sei der Mittwoch zwar „kein schöner Tag“gewesen. Für die Aufklärung sei er aber ein „guter Tag“.