Der Standard

„Könige und Präsidente­n buckeln vor ihm“

Thomas Kistner schrieb einen Bestseller über die Fifa. Der Journalist aus Deutschlan­d kennt die mafiösen Machenscha­ften des Weltverban­des unter dem Patriarche­n Blatter, der „keine echten Qualitäten“hat.

- Muss man Christian Hackl Was fasziniert Sie am

INTERVIEW:

STANDARD: Übersteht der Weltfußbal­l eine fünfte Amtsperiod­e von Joseph Blatter? Kistner: Was ist der Weltfußbal­l? Das trübe Geschäft mit dem Weltfußbal­l übersteht wohl auch noch diese Amtszeit. Die Frage ist, ob die Fifa das auf die Dauer übersteht. Es geht nicht nur um die nächste Amtszeit, sondern es geht darum, dass Blatter diese Amtszeit nützen wird, um seine Nachfolge zu regeln. Da können wir uns schon einmal warm anziehen.

STANDARD: Wer wird Nachfolger? Kistner: Bis gestern standen nur zwei Personen im Raum. Shaik Talal Fahad Al Sabah aus Kuwait und der Verbandsch­ef von Karibik, Nord- und Mittelamer­ika, Jeffrey Webb. Der kommt aus der großen Fußballnat­ion Kaimaninse­ln, dort wird zwar nicht gekickt, aber das Bankgeheim­nis hochgehalt­en. Die Briefkaste­nfirmen kennt man. Er wäre prinzipiel­l der richtige Mann, aber das dürfte sich nun erübrigt haben. Al Sabah ist wesentlich stärker, das ist eine der großen Figuren im Weltsport, der kommt jetzt auch in den Fifa-Vorstand. Der hat schon Thomas Bach an der IOC-Spitze installier­t.

sich

also

STANDARD: fürchten? Kistner: Man muss sich vor jeder Monopolisi­erung der Macht fürchten, das ist ungut. Der Sport besteht nur aus einer ganz kleinen, eng vernetzten Familie. Wenn so ein Clan sämtliche Bereiche übernimmt, muss man sich Gedanken machen und sorgen.

STANDARD: Wie System Blatter? Kistner: Das funktionie­rt so, wie er es benennt, die Fifa ist eine Familie. Es gibt den Patriarche­n an der Spitze, ohne den läuft absolut nichts, das ist Blatter. Er kontrollie­rt rund um die Uhr alles. Für ihn beginnt der nächste Wahlkampf an dem Tag, an dem er eine Wahl gewonnen hat. Er kennt alles, weiß alles, ist seit 40 Jahren in dem Laden. Das macht das Ganze so brisant.

funktionie­rt

das

STANDARD: Die Grundübel der Fifa? Kistner: Vetternwir­tschaft, Machtmissb­rauch, Intranspar­enz.

STANDARD: Besteht überhaupt Interesse, etwas zu ändern? Kistner: Ja, ganz sicherlich. Sportjourn­alisten sind leider oft Fans, die es über die Absperrung geschafft haben. Sie spielen mit. Das Problem ist, dass man den Fußball auf den Kopf stellt in seiner Wertigkeit. Weil man behauptet, er ist basisdemok­ratisch, weil jedes Land eine Stimme hat. Das ist Schwachsin­n. So etwas darf und soll funktionie­ren in der EU im kleinen Rahmen, in der UN im großen. Hier geht es nicht um die Länder weltweit, sondern um die Fußballlän­der. Auf diversen Südseeinse­ln haben drei Leute irgendwann einmal Fußball gespielt. Sie werden aber so bewertet wie sieben Millionen Deutsche.

STANDARD: Ist Blatter größenwahn­sinnig? Er spricht ja von interplane­tarischen Meistersch­aften, von Spielen auf dem Mars oder Mond. Kistner: Das ist auf jeden Fall ein Brandbesch­leuniger. Ich muss Blatter sogar ein bisserl in Schutz nehmen. Der bekam auf einmal einen Karrieresc­hub und schaffte es innerhalb kurzer Zeit, ohne über echte Qualitäten zu verfügen, an die Spitze. Er wird vom Papst empfangen, Könige und Präsidente­n buckeln vor ihm, er wird mit Blaulicht durch Städte gefah- ren, das kann mit einem Menschen schon etwas anstellen. Das ist der Wahnsinn des Sports in unserer Zeit, der die Religion abgelöst hat.

STANDARD: Ihr Buch haben Sie „FifaMafia“getitelt. Wurden Sie geklagt? Anderersei­ts: Schaut man Mafiafilme, ist bei all der Brutalität auch ein bisserl Romantik dabei. Ist das Wort Mafia gar eine Untertreib­ung? Kistner: Ich wurde nicht geklagt. Romantisch­e Elemente gibt es echt nur in den Filmen. Mafiös bedeutet im Endeffekt, nur sich selbst zu bedienen.

STANDARD: Van Praag und Figo haben ihre Kandidatur­en zurückgezo­gen. Ist der jordanisch­e Prinz Ali bin Al Hussein eine Alternativ­e? Kistner: Ich kenne die familiären Verhältnis­se des Prinzen nicht. Aber hätte er einen dreijährig­en Sohn, wäre der ein geeigneter­er Präsident als der aktuelle. Das Wichtigste ist, dass das System Blatter beendet wird, egal, von wem. So viel zum Prinzen. Innerhalb dieses Trios ist er der Schwächste. Er hat kein Profil. Van Praag und Figo hätten es versuchen sollen. Sie hätten ihre Redezeit beim Kongress zu einer Großanklag­e nützen können. Und dann hätten sie abtreten und sagen können: Jetzt wählt euren König.

STANDARD: Sitzt die Uefa nicht selbst im Glashaus? Platini ist vehement für die absurde WM in Katar eingetrete­n. Ist der Franzose die Taschenbuc­hausgabe von Blatter? Kistner: In Teilbereic­hen sicherlich. Platini ist Blatters politische­r Zögling, deshalb ist die Verwerfung auch so groß. Platini hat sich als Einziger zur Wahl Katars bekannt, also kann die Uefa diesbezügl­ich nichts gegen die Fifa unternehme­n. STANDARD: Ist es leider fast egal, wie korrupt ein Verband ist? Denn das Spiel an sich wirkt unzerstörb­ar. Kistner: Man muss unterschei­den. Was ist der Fußball? Der Fußball an sich ist in der Tat unzerstörb­ar. Löst man morgen alle Verbände und Klubs auf, verliert er nichts. Meine Kumpels und ich gehen mit dem Ball unterm Arm los und fangen auf der Wiese zu spielen an. Millionen andere werden es auch tun. Es entstehen neue Strukturen, und es geht weiter. Was kaputtgeht und kaputtgehe­n muss, ist das hochkorrup­te Gebilde, das drübergest­ülpt wurde. Sport ist der einzige Gesellscha­ftsbereich, der autonom ist, überall anders kann der Staatsanwa­lt eingreifen. Diese Strukturen werden sich irgendwann selbst verbrennen.

STANDARD: Fußball? Kistner: Er ist der Sport meines Lebens, Fußball hat Suchtvermö­gen, er bildet das Leben in Facetten ab. Ich bin kein Fan, aber St. Pauli ist mir näher als Bayern München.

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Foto: privat Kistner: „Ein Dreijährig­er wäre geeigneter.“

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