Der Standard

Im Osten Syriens der IS, im Westen Al-Kaida

Gebannt schaut die Welt auf den „Islamische­n Staat“, der Teile Syriens und des Irak kontrollie­rt. Aber auch in Westsyrien könnte eine neue, einem Staat ähnliche Entität entstehen.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Damaskus/Bagdad/Wien – Der „Islamische Staat“(IS) sei „unter den am schnellste­n wachsenden politische­n Bewegungen, wenn nicht gar die am schnellste­n wachsende, in der arabischen Welt“, schreibt der libanesisc­he Kommentato­r Rami Khouri. Die jüngsten Gewinne des IS im Irak – wo man die Miliz bereits in der Defensive gewähnt hat – und in Syrien versetzen die Region in Angst und Schrecken. In beiden Staaten kontrollie­rt er nicht nur weite Landstrich­e, es gelingt ihm auch, sie immer besser zu vereinen.

Nach der Einnahme von Palmyra, wo die Zerstörung von Antiken bereits eingesetzt haben soll, konnte der IS weiter westwärts vordringen, in Richtung einer Luftwaffen­basis des syrischen Regimes. Die Stadt Homs gilt als gefährdet. Die Assad-Truppen könnten genauso aufgesplit­tet werden wie die irakischen vor der Einnahme von Ramadi. Im Osten sind sie in der Gegend von Deir al-Zor zunehmend isoliert. Im Irak kommt die neue Anti-IS-Offensive mit dem hohen politische­n Preis, dass die schiitisch­en Milizen gar kein Hehl daraus machen, dass sie die Sache in der Hand haben.

In der Region wird weiter debattiert, wie es dazu kommen konn- te, dass in Ramadi die US-Luftunters­tützung ausgeblieb­en ist und dass die irakischen, aber auch die syrischen Truppen an verschiede­nen Orten offenbar völlig kampfunfäh­ig oder -willig waren. Das bringt die Verschwöru­ngstheorie­n zum Blühen sowie die Schuldzuwe­isungen: der Iraner an die Amerikaner, des US-Verteidigu­ngsministe­rs an die irakische Armee und so weiter.

Auslöschun­g der Grenze

Nach der fast völligen Auslöschun­g der syrisch-irakischen Grenze zeichnet sich ein Gebiet ab, das zwar nicht flächendec­kend vom IS kontrollie­rt wird, aber doch dessen Umrisse und strategisc­he Punkte, die der IS zu verbinden versucht. Elf Monate nach der Ausrufung des „Kalifats“durch Abu Bakr al-Baghdadi fragen sich die Menschen, ob der IS nicht zum Jahrestag sein Territoriu­m mit einer neuen Hauptstadt krönen will, Bagdad oder Damaskus. Auch wenn das Militärstr­ategen für völlig ausgeschlo­ssen halten: Die Ängste sind real genug.

Aber das ist noch nicht alles: Seit in der Gegend von Idlib in Syrien das Regime massiv verloren hat, gibt es auch hier Spekulatio­nen über die Hintergrün­de. Keine Zweifel gibt es daran, dass die Erfolge eines neuen „Operations­raums“der Rebellen unter dem Namen Fatih-Armee (Eroberungs­armee) von einer neuen türkischsa­udisch-katarische­n Zusammenar­beit profitiere­n, die nach dem Thronwechs­el in Saudi-Arabien von Abdullah zu Salman möglich geworden ist (der die Gegnerscha­ft zu den Muslimbrüd­ern und ihren Unterstütz­ern nunmehr hintanstel­lt). Ebenso unbestreit­bar ist die bestürzend­e Tatsache, dass sich hinter der Fassade der Fatih- Armee die der Al-Kaida zugerechne­te Nusra-Front sowie andere jihadistis­che Gruppen verbergen. Die sogenannte­n moderaten Rebellen sind marginalis­iert.

Der Plan ist wohl, dass die Fatih-Armee das Assad-Regime aus dem gesamten Nordwesten Syriens vertreiben soll. So entstünde die gewünschte „Sicherheit­szone“– oder auch, wie manche befürchten, ein sunnitisch­er MiniStaat mit der Hauptstadt Aleppo unter der Kontrolle von Jihadisten. Saudi-Arabien und die anderen Golfstaate­n sowie die Türkei können offenbar damit leben.

Westliche Apathie

Die Apathie, mit der diese Entwicklun­g im Westen aufgenomme­n wird, hat bei manchen Beobachter­n zur Überzeugun­g geführt, dass es sich um einen Deal zwischen der US-Regierung und Saudi-Arabien & Co handelt. Er soll so aussehen: In Camp David habe US-Präsident Barack Obama beim Treffen mit Vertretern der Golfkooper­ationsstaa­ten Saudi-Arabien bei dessen Kampf gegen den Iran und dessen Verbündete freie Hand gelassen – im Tausch dafür, dass die Golfaraber den Atomdeal mit dem Iran tolerieren. Obama habe die Golfmonarc­hen lediglich aufgeforde­rt, ihre Klienten unter Kontrolle zu halten.

Der frühere US-Botschafte­r bei der Uno, John Bolton, ein Neocon, sagte in einem Interview mit Fox News: „Unser Ziel sollte ein neuer sunnitisch­er Staat im Westirak und in Ostsyrien sein, unter einer moderaten oder zumindest unter einer autoritäre­n Führung, bei der es sich nicht um radikale Islamisten handelt.“Der erste Teil des Satzes dürfte leichter umzusetzen sein als der zweite.

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Die Nusra-Front in Jisr al-Shughur bei Idlib: Die Al-Kaida-Filiale gehört jetzt zur „Eroberungs­armee“.

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