In England entscheidet sich Atom-Zukunft der EU
Die Genehmigung der britischen Beihilfe für das AKW Hinkley Point im Südwesten Englands war ein herber Rückschlag für die Atomgegner. Einiges aber spricht dafür, dass sie am längeren Hebel sitzen.
ANALYSE: Wien – Die Enttäuschung unter Atomkraftgegnern war riesig, als die EU-Kommission im Oktober Staatshilfen für das geplante britische AKW Hinkley Point C an der Südwestküste von England gegeben hat. Von einem „fatalen energiepolitischen Signal“war die Rede, von einer „Rückkehr in die energie- und wettbewerbspolitische Steinzeit“. Vor allem in Österreich kochten Emotionen hoch.
An der Tatsache, dass die von Großbritannien in Aussicht gestellte kräftige Subventionierung des Atomstroms, der in Hinkley Point in zwei Reaktoren ab 2023 produziert werden soll, durch ist, hat sich nichts geändert. Es haben sich zwischenzeitlich aber einige Fakten ergeben, die das Pendel doch wieder in die andere Richtung schwingen lassen könnten.
In England, so viel scheint klar, dürfte sich das Schicksal der Atomenergie in Europa entscheiden – nicht ganz unerheblich für Österreich. So könnte die geplante Erweiterung der Reaktorblöcke an den tschechischen Standorten Temelín und Dukovany, die im derzeitigen Preisgefüge ohne fette Subventionen nicht möglich ist, unter dem Eindruck der Vorkommnisse in England zu einem Rohrkrepierer werden.
Was sind nun die neuen Fakten, die seit vorigem Oktober eingetre- ten sind? Electricité de France (EdF), der staatliche französische Stromkonzern und präsumptive Betreiber des umstrittenen AKW, hat die rund 400 Mitarbeiter, die bis vor kurzem noch in Hinkley Point stationiert waren, abgezogen. Bis dato gibt es keinen Investitionsvertrag. Dass die von Österreich angedrohte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen unerlaubter staatlicher Beihilfe mit ein Grund dafür ist, kann man glauben oder auch nicht. Jedenfalls dürften sich die künftigen Be- treiber schon um eine Rückversicherung bemühen, sollten die obersten EU-Richter Österreich und möglichen Mitklägern in ein paar Jahren (so lange wird es unter Berücksichtigung der Einspruchsfristen wohl dauern) recht geben.
Der französische Atomkonzern Areva, der im Konsortium mit EdF und zwei chinesischen Firmen die Reaktorblöcke errichten soll, steckt in einer schweren Krise. Manche Beobachter sprechen davon, dass Hinkley Point der Rettungsring sein soll für Areva. Ende 2014 schrieben verschiedene Medien, das Unternehmen sei pleite.
Der zu 87 Prozent dem französischen Staat gehörende Atomenergiekonzern ist hauptsächlich durch die Fehlinvestitionen in die AKW-Neubau-Projekte im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluoto in Schieflage geraten. Die beiden Prestigeprojekte, mit denen EdF und Areva beweisen wollten, dass die neue Atomreaktorlinie vom Typ EPR „schlüsselfertig“zum Festpreis von 3,2 Milliarden Euro pro Block angeboten werden könne, haben sich als Flop erwiesen. In letzter Konsequenz könnte nun EdF den Atomteil von Areva übernehmen, eine Entscheidung wird für Anfang Juni erwartet.
Dann wären da noch die erneuerbaren Energien. 2014 wurde in Großbritannien erstmals mehr Strom mit Wind und Sonne produziert als in Atommeilern (siehe Grafik). Mit einem fixen Strompreis von umgerechnet rund 117 Euro die Megawattstunde über einen Zeitraum von 35 Jahren liegt die Subvention für Hinkley Point deutlich über den Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien.
In Großbritannien sind noch 16 Atomkraftwerke im Einsatz, 29 AKWs sind bereits abgeschaltet und müssen entsorgt werden.