Enge Nachbarschaft im mittleren Pliozän
Forscher entdeckten in Äthiopien dreieinhalb Millionen Jahre alte Überreste einer bislang unbekannten Australopithecus-Art. Fundort und Datierung der Fossilien werfen neue Fragen über die Artendiversität in der frühen homininen Entwicklungsgeschichte auf.
Cleveland/Wien – Seit der Entdeckung 1974 ist „Lucy“so etwas wie ein fossiler Popstar. Der Fund des 3,2 Millionen Jahre alten Teilskeletts in Äthiopien, benannt nach dem Beatles-Song
war eine Sensation: Die gut erhaltenen Überreste zeigen eindeutige Anpassungen an den aufrechten Gang. Australopithecus afarensis hatte es zum bekanntesten frühen Vertreter der Hominini gebracht.
Lange Zeit wurde jedoch heftig debattiert, ob andere ostafrikanische Funde aus dem Zeitraum vor etwa 3,8 bis 2,9 Millionen Jahren nur diese eine Spezies repräsentierten oder ob bereits in jener frü- hen Phase der homininen Entwicklungsgeschichte mehrere Arten koexistierten. Mit der nicht unumstrittenen Beschreibung von Australopithecus bahrelghazali als eigenständige Art (1996) sowie der Entdeckung von Kenyanthropus platyops (1999) gewann die Frage nach früher Diversität in den vergangenen Jahrzehnten erneut an Brisanz.
Geht es nach einer aktuellen Studie von Forschern um Yohannes Haile-Selassie vom Naturhistorischen Museum Cleveland, könnten die Nachbarschaftsverhältnisse im mittleren Pliozän sogar noch enger gewesen sein. Die Forscher beschreiben in Nature eine weitere AustralopithecusSpezies, die sich räumlich und Oberkiefer von A. deyiremeda. Die Spezies dürfte zur selben Zeit in der Afar-Region gelebt haben wie „Lucy“. zeitlich mit „Lucys“Artgenossen überschnitten haben dürfte: Australopithecus deyiremeda. Die Fundstätten eines Ober- und zweier Unterkiefer sowie einiger einzelner Zähne in der äthiopischen Afar-Region liegen nur 35 Kilometer von früheren A.-afarensis-Fundorten entfernt. Die 3,3 bis 3,5 Millionen Jahre alten Überres- te weisen auch mehr Ähnlichkeiten zu Australopithecus als zu anderen Hominini auf, so die Autoren. Die spezifischen Merkmale lassen auf eine zwar nahe verwandte, bisher allerdings unbekannte eigenständige Spezies (mit anderen Ernährungsgewohnheiten) schließen. Daher auch der Name: Deyiremeda bedeutet auf Afar so viel wie „naher Verwandter“. „Dies ist nur eine weitere Bestätigung dafür, dass A. afarensis nicht der einzige potenzielle Vorfahre des Menschen war, der im mittleren Pliozän durch die AfarRegion streifte“, so Haile-Selassie. Welche ökologischen Faktoren zu dieser frühen Diversifikation führten, sei vorerst aber unklar.