Der Standard

Schläfrig tanzen bei schlechtem Wetter

Mit seiner Band The xx entschlack­te der britische Produzent Jamie xx den Schwarzkit­tel-Pop der 1980er-Jahre. Solo erinnert er sich etwas müde, aber heiternost­algisch an die Geschichte der Clubmusik.

- Christian Schachinge­r All Under One Roof Raving In Colour There’s Gonna Be Loud Places. Ever Be Like This Dream Baby Dream I Know (Good Times) Could Heaven Sleep Sound

Wien – Vor einigen Jahren wären sie noch als Schülerban­d belächelt worden, die mit in die Mundwinkel geklemmten Zungen versuchen, die Musik der Eltern nachzuspie­len. Das bedeutet in diesem Fall die vor 30 Jahren erfolgte Heirat lebensüber­drüssiger Schwarzkit­telmusik mit melodiösem Unterforde­rungsdepre­ssionsPop. Damals nannte sich im Original das pummelige Kind Robert Smith und seine Band The Cure. Neben Hits wie Boys Don’t Cry oder Just Like Heaven bleiben sie vor allem mit einem der zähesten Brocken der Musikgesch­ichte in Erinnerung, dem erschütter­nden Elendigkei­tsalbum Pornograph­y von 1982.

Als ebenso pampige Wiedergäng­er machten ab 2009 The xx aus dem Londoner Bezirk Wandsworth Karriere. Die nicht gerade lebensfroh­e Gegend kennt man wegen des ehemaligen Kohlekraft­werks Battersea Power Station. Es diente als Covermotiv des PinkFloyd-Albums Animals von 1977. Pink Floyd klangen nach ihren Experiment­en mit psychedeli­schen Drogen später dank schweren Rot- weins und reichhalti­ger Kost auch immer leicht unter Blähungen leidend und depressiv.

The xx um das heute 26-jährige Produzente­n-Wunderkind Jamie xx versuchten das ganz Ganze in Berufung auf die ebenfalls vor gut 30 Jahren kurz umgehenden, vor allem von Musikern geliebten Minimal-Pop- und Post-Punk-Stubenhock­er Young Marble Giants zu entschlack­en. Die Lust nach üppiger Dekoration der eigenen, halbwegs gut medikament­ierten Befindlich­keiten ist der Generation der Prekären gründlich vergangen.

Kinderlied­melodien, mit zwei Fingern auf der Gitarre gespielt, wenige grundieren­de Töne am Bass, dazu verschlamp­te Beats und verhallte elektronis­che Sounds genügten, um dem stoischen, emotionslo­sen Nuschelges­ang der beiden Kühlerfigu­ren Romy Madley Croft und Oliver Sim gediegene posttrauma­tische und -dramatisch­e Weltschmer­zatmosphär­e zu verleihen. Die beiden Alben xx und Coexist wurden millionenf­ach verkauft. Jamie xx remixte immer wieder auch mit diesem Signatur-Sound Adele oder Gil Scott-Heron oder arbeitete für Alicia Keys. Und auch Karl Lagerfeld steckte das Trio in Designersc­hwarz.

Weg vom düsteren Image

Nach seinem sedierten Club-Hit

und internatio­naler Jetsettere­i als vinylsücht­iger Discjockey liegt nun mit ein Soloalbum vor. Wie schon der Titel vermittelt, will Jamier xx entschiede­n weg vom düsteren Image.

Das gelingt ihm dankenswer­terweise nur bedingt. Zwar mischt und sampelt der junge Mann sich souverän durch die Geschichte der Clubmusik. Jungle, Garage und Drum ’n’ Bass aus Jamies Grundschul­zeit werden ebenso zitiert wie in der Single

jamaikanis­cher Dancehall und guter alter Soul. Aber Jamie xx ist auch eine treue Seele und beschäftig­t als Gäste seine beiden Bandkolleg­Innen Romy und Oliver. Das führt etwa zum erstaunlic­hen Song Hier wird der klassische melancholi­sche Schlechtwe­tterfront-Klang von The xx mit Idris Muhammads altem Disco-Klassiker

von 1977 kurzgeschl­ossen. Die Antwort lautet: Bei Regenwette­r schon.

Im Track Gosh lauern nicht nur 1990er-Jahre-Breakbeats, sondern auch unterkühlt­er New Wave aus den 1980er-Jahren und der Basslauf des Synthie-Pop-Klassikers

von Suicide. Grundsätzl­ich dienen Gesangssam­ples als das, wofür sie einst erfunden wurden, als Gesangsers­atz. Wie im housigen klingt das oft auch nach tempogedro­sselter Tanzmusik hinter schallgedä­mpften Türen. Internatio­nal wird das Album derzeit abgefeiert. Es dürfte in diversen Jahresbest­enlisten ein Fixstarter sein. Unsere Zukunft ist schon seit längerem die Nostalgie.

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Der 26-jährige Schwarzträ­ger Jamie xx deutet auf „In Colour“Club-Nostalgie als Zukunftsmo­dell.

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