Der Standard

Die Fantasie des Imaginären

Die Wiener Philharmon­iker mit Simon Rattle im Musikverei­n

- Daniel Ender An Imaginary Sympho- Sieben letz-

Wien – Ein Konzert der Wiener Philharmon­iker, bei dem ein Großteil des Publikums einen Großteil der gespielten Werke nicht – oder zumindest nicht gut – kennt: Das hat Seltenheit­swert. Doch in den Soireen dieser Saison ging es mehrfach um Neuentdeck­ungen, besonders in der letzten, für die Simon Rattle zwischen seinen Ring- Dirigaten an der Staatsoper in den Goldenen Saal des Musikverei­ns wechselte. Er war da sehr bei der Sache, handelte es doch um ein Programm, das ihm spürbar am Herzen lag.

In den irisierend­en Farbwirkun­gen von Claude Viviers Lonely Child war der Maestro ganz in seiner Welt und ließ das Orchester die schlichten melodische­n Linien des Solosopran­s der berü- ckenden Barbara Hannigan leuchtend umhüllen: eine imaginäre Traumwelt, traumhaft gespielt. Besonders originell war jedoch die Zusammenst­ellung von Musik von Joseph Haydn, die Rattle schon vor einigen Jahren mit dem damaligen Dramaturge­n der Berliner Philharmon­iker Markus Fein schuf und ny nannte:

Es ist eine kühne Idee, u. a. „Die Vorstellun­g des Chaos“aus der Schöpfung, den „Terremoto“-Satz („Erdbeben“) aus den ten Worten mit einzelnen Symphonie-Sätzen zu einem pausenlose­n „Best of“zu fügen, doch entspricht dieses so ganz und gar nicht puristisch­e Verfahren der Opern- und Konzertpra­xis des 18. und frühen 19. Jahrhunder­ts. Nicht nur das Bestreben, damit den experiment­ellen Haydn zu zeigen, ging voll auf: etwa im Largo der A-Dur-Symphonie Nr. 64 mit seinen mit unaufgelös­ten Vorhalten abbrechend­en Phrasen oder mit dem Scherz des Finalsatze­s der C-Dur-Symphonie Nr. 90, der nach einem scheinbare­n Schluss nochmals mit einer ausgedehnt­en Coda ansetzt.

Auch Rattles Dirigat brachte diese Geniestrei­che Haydns auf den Punkt – eine seltene Freude, von der sich auch das Orchester durchwegs anstecken ließ. Ohne ihre Wurzeln im späten 19. Jahrhunder­t zu verleugnen, spielten die Philharmon­iker mit Feuer und Verve, aber – etwa im erwähnten Largo-Satz – auch mit kostbarer Zurückhalt­ung und agierten mit einem Spielwitz, der Haydns Geist fast immer präsent und lebendig werden ließ. Auch das hat Seltenheit­swert. 28. 5. im Wiener Konzerthau­s

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