Postings: Haftungsfrage steht vor der Klärung
Europäischer Gerichtshof entscheidet im Juni
Wien/Straßburg – Auch wenn die Entscheidung nur um ein kleines estnisches Portal kreist, könnte sie weitreichende Auswirkungen auf europäische Medieninhaber haben: Am 16. Juni ergeht das Urteil der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), ob die Onlineplattform Delfi für die Postings ihrer User haftet. Es ist die letzte Instanz in einer Auseinandersetzung, die Gerichte seit neun Jahren beschäftigt.
Der Rechtsstreit reicht bis ins Jahr 2006 zurück, als ein estnischer Geschäftsmann in Postings beleidigt und verleumdet wurde. Der Unternehmer klagte nicht die Poster, sondern die Nachrichtenseite Delfi und siegte im nationalen Instanzenzug. Im zivilrechtlichen Verfahren wurde ihm eine Entschädigungszahlung von 320 Euro zugesprochen. Der Fall wirft die Grundsatzfrage auf, ob Medieninhaber für Kommentare ihrer User verantwortlich sind.
Delfi und viele weitere Verlagshäuser sind der Ansicht, dass das Urteil das Recht auf freie Meinungsäußerung konterkariere und nicht im Einklang mit der Pressefreiheit stehe.
Als Delfi die Causa vor den EGMR brachte, hatte das Portal namhafte Unterstützer wie Google, Guardian und Reuters im Schlepptau. „Viele Organisationen stilisieren die Entscheidung gleich zu einer über Leben oder Tod des Internets“, sagt Hans-Peter Lehofer, Verwaltungsrichter und Ex-Chef der Medienbehörde KommAustria, zum STANDARD. Bei der Beurteilung rät er zur Vorsicht.
Sachlage nicht immer vergleichbar
Seitenbetreiber argumentieren, dass sie den Postings niemals zur Gänze Herr werden können. Sie müssten ein Vorab-Filtersystem installieren und jeden einzelnen Beitrag manuell freischalten – unmöglich bei Tausenden Kommentaren pro Tag. Lehofer warnt zugleich davor, dem Urteil so viel Sprengkraft beizumessen, denn: Auch wenn es sich um eine Richtungsentscheidung auf europäischer Ebene handle, gehe es immer um konkrete Einzelfälle.
In Österreich gelten Medieninhaber als Host-Provider. Nach Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) haften nicht Webseitenbetreiber für inkriminierende Postings ihrer User, sondern die Kommentierenden selbst. Mit der Einschränkung, das Medien ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Werden beleidigende Postings gemeldet, müssen Portale reagieren und diese aus dem Forum löschen. (omark)