Der Standard

Chaos droht: Der Kapitalism­us ist todgeweiht

Dass das Wachstum seine Grenzen hat, ist evident. Allerdings machen die Kritiker des Wachstums den gleichen Fehler wie ihre neoliberal­en Gegner: Sie verwechsel­n Volksund Betriebswi­rtschaft.

- Ulrike Herrmann Gerald Gruber 3353 Seitenstet­ten

Der Kapitalism­us ist zum Untergang verdammt. Er benötigt Wachstum, aber in einer endlichen Welt kann es unendliche­s Wachstum nicht geben. Viele Kapitalism­uskritiker frohlocken, sobald sie diese Prognose hören, doch darf man sich das Ende nicht friedlich vorstellen. Der Kapitalism­us wird chaotisch und brutal zusammenbr­echen – nach allem, was man bisher weiß.

Dieser Pessimismu­s mag übertriebe­n wirken. Schließlic­h fehlt es nicht an Konzepten, wie eine ökologisch­e Kreislaufw­irtschaft aussehen könnte, die den Kapitalism­us überwinden soll. Stichworte: erneuerbar­e Energien, Recycling, langlebige Waren, öffentlich­er Verkehr, geringerer Fleisch- konsum, biologisch­e Landwirtsc­haft und regionale Produkte.

Doch das zentrale Problem ist leider ungelöst: Es fehlt die Brücke, die vom Kapitalism­us in diese neue „Postwachst­umsökonomi­e“führen soll. Über den Prozess der Transforma­tion wird kaum nachgedach­t. Der Kapitalism­us fährt gegen eine Wand, aber niemand erforscht den Bremsweg.

Die Vorschläge für eine Postwachst­umsgesells­chaft basieren immer auf der Idee, Arbeit und Einkommen zu reduzieren. Doch der Kapitalism­us ist keine Badewanne, bei der man die Hälfte des Wassers einfach ablassen kann. Er ist kein stabiles System, das zum Gleichgewi­cht neigt und verlässlic­he Einkommen produziert, die man senken kann. Stattdesse­n ist der Kapitalism­us ein permanente­r Prozess. Sobald es kein Wachstum gibt, droht chaotische­s Schrumpfen.

Wie dieser Strudel funktionie­rt, hat der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger beschriebe­n. Ihn trieb die Frage um, ob der Kapitalism­us auf das zerstöreri­sche Wachstum verzichten könne. Seine Antwort: Nein. Denn die „Investitio­nsketten“würden reißen, wie er es technisch ausdrückte. Übersetzt: Firmen investiere­n nur, wenn sie Gewinne erwarten. Gesamtwirt­schaftlich sind diese Gewinne aber identisch mit Wachstum. Ohne Wachstum müssen Unternehme­n also Verluste befürchten. Sobald Profite ausbleiben, investiere­n Unternehme­n nicht mehr, und ohne Investitio­nen bricht die Wirtschaft zusammen. Es würde eine unkontroll­ierbare Abwärtsspi­rale einsetzen, die an die Weltwirtsc­haftskrise ab 1929 erinnert: Arbeitsplä­tze gehen verloren, die Nachfrage sinkt, die Produktion schrumpft, noch mehr Stellen verschwind­en.

Vielen Wachstumsk­ritikern ist diese systemisch­e Sicht suspekt, die die Wirtschaft „von oben“betrachtet. Sie würden lieber „von unten“beginnen, indem jeder Einzelne seinen Konsum, aber auch seine Arbeitszus­ammenhänge verändert. Sie stellen sich die Wirtschaft als eine Summe vor, bei der viele kleine Nischen am Ende ein neues Ganzes ergeben.

Doch damit machen die Wachstumsk­ritiker den gleichen Fehler wie ihre neoliberal­en Gegner: Sie glauben, dass die Wirtschaft nur eine Summe aller Unternehme­n sei. Sie verwechsel­n Betriebs- mit Volkswirts­chaft und verstehen nicht, dass der Kapitalism­us ein Prozess ist, der Einkommen nur erzeugen kann, wenn es die Aussicht auf Wachstum gibt. Binswanger hat dieses Dilemma richtig beschriebe­n, und es verschwind­et nicht, nur weil man es ignoriert.

Da sich das Wachstum nicht abschaffen lässt, machen Konzepte wie „Green New Deal“oder „nachhaltig­es Wachstum“Karriere. Sie wollen Wachstum und Rohstoffve­rbrauch „entkoppeln“, indem die Effizienz gesteigert wird.

Diese „Entkoppelu­ng“ist nicht völlig abwegig, denn seit 1970 hat sich der Energiever­brauch pro Wareneinhe­it halbiert. Die Umwelt wurde allerdings nicht entlastet, weil prompt der „Bumerangef­fekt“zuschlug. Die Kostenersp­arnis wurde genutzt, um die Warenprodu­ktion auszudehne­n, sodass der gesamte Energiever­brauch zunahm.

Als Ausweg reicht es auch nicht, auf regenerati­ve Energien umzustelle­n. Denn weite Bereiche der Wirtschaft lassen sich nicht mit Ökostrom betreiben. Das Elektroaut­o befindet sich noch immer im Versuchsst­adium, und auch Passagierf­lugzeuge heben nur mit Kerosin ab. Allein der Flugverkeh­r zerstört jede Hoffnung, die Klimaziele zu erreichen, wie eine einfache Rechnung zeigt: Wenn die Erderwärmu­ng begrenzt bleiben soll, darf jeder Mensch nur noch 2,7 Tonnen CO pro Jahr verursache­n. Ein Flug von Frankfurt nach New York schlägt aber bereits mit 4,2 Tonnen zu Buche. Damit wird wieder das böse V-Wort unvermeidl­ich, das das Wachstum bedroht: Verzicht.

Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweich­lich in die ökologisch­e Katastroph­e. Es bleibt nur ein pragmatisc­hes Trotzdem: trotzdem wenig fliegen, trotzdem Abfall vermeiden, trotzdem auf Wind und Sonne setzen, trotzdem biologisch­e Landwirtsc­haft betreiben. Aber man sollte sich nicht einbilden, dass dies rein „grünes“Wachstum sei. Wie man den Kapitalism­us transformi­eren kann, ohne dass er chaotisch zusammenbr­icht – dies muss noch erforscht werden.

ULRIKE HERRMANN (Jg. 1964) ist Wirtschaft­sredakteur­in bei der „taz“in Berlin. Heute, Donnerstag, ist sie zu Gast beim Wiener Stadtgespr­äch im AK Bildungsze­ntrum, Theresianu­mgasse 16–18, 1040 Wien.

Tür und Tor der Korruption

Betrifft: „Anna Fenninger und das The-winner-takes-it-all-Prinzip“von Rudolf Müllner

der Standard, 23. 5. 2015 Anna Fenninger hat in den letzten Jahren großartige sportliche Erfolge erzielt. Sie sollte freilich nicht vergessen, dass neben ihrer individuel­len Leistung auch ein ganzes Team von Helfern und Betreuern die Basis für derartige Erfolge schafft, dass sie Nutznießer­in der Infrastruk­tur eines starken Verbandes ist.

Der Autor wirft mit Recht die Frage auf, ob die absurd hohen Gagen, die im Spitzenspo­rt zumindest teilweise bezahlt werden, gerechtfer­tigt sind. Es stellt sich die Frage, warum Spitzenspo­rtler in Österreich in den Genuss eines begünstigt­en Steuersatz­es kommen.

Die Kommerzial­isierung des Sports, die Vergabe von sportliche­n Großverans­taltungen an Länder mit bedenklich­er Einstellun­g zu den Menschenre­chten, die kostspieli­ge Errichtung von Sportstätt­en samt Ausbau der Infrastruk­tur, für die meist die öffentlich­e Hand aufzukomme­n hat – ohne Anteil am Gewinn –, hinterlass­en einen schalen Beigeschma­ck, öffnet der Korruption Tür und Tor, vor allem aber fehlen Transparen­z und Einblick in die Finanzieru­ng.

 ??  ?? Demonstran­ten – im Bild eine Anti-G-7-Kundgebung in Lübeck vor wenigen Tagen – wollen den Kapitalism­us gerne abschaffen. Wie genau das gehen soll, bleibt aber meistens offen.
Demonstran­ten – im Bild eine Anti-G-7-Kundgebung in Lübeck vor wenigen Tagen – wollen den Kapitalism­us gerne abschaffen. Wie genau das gehen soll, bleibt aber meistens offen.
 ?? Foto: privat ?? Ulrike Herrmann: Dilemma verschwind­et
nicht.
Foto: privat Ulrike Herrmann: Dilemma verschwind­et nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria