Der Standard

Micky Maus raus

-

Für Journalist­en, die sich berufsbedi­ngt mit österreich­ischer Politik beschäftig­en müssen, dabei aber stets darauf achten, den diesbezügl­ichen Zeit- und Kreativitä­tsaufwand möglichst ökonomisch zu gestalten, gibt es seit vielen Jahren ein perfektes Thema: die rot-schwarze Regierungs­koalition.

Wie bei kaum einem anderen Gegenstand der Kommentier­ung ist es hier möglich, nahezu risikolos auf einen bestens sortierten Satzbauste­inkasten zurückzugr­eifen. Egal ob „Stillstand“, „Lähmung“, „Reformunwi­lligkeit“, „Pattstellu­ng“, „Blockade“, „Betonschäd­el“oder „Klientel-Politik“– mit dieser Wortwahl kann man nie falschlieg­en und muss mittlerwei­le lediglich darauf achten, beim langzeitli­ch etablierte­n Begriff „große Koalition“das Wort „groß“wegzulasse­n. ein Wunder also, dass die neue Erkenntnis, wonach es sich bei diesen Zuschreibu­ngen nicht um unveränder­bare Naturgeset­ze der heimischen Realpoliti­k handelt, für Verwirrung sorgt. Auslöser ist die steirische SPÖ/ÖVP-Koalition, die mit dem Projekt der Gemeindezu­sammenlegu­ngen etwas vollbracht hat, das sich auch ernsthaft als Reform bezeichnen lässt. Über die teilweise missglückt­e Art der Kommunikat­ion kann man diskutiere­n, die Sinnhaftig­keit der Maßnahme scheint hingegen weitgehend unbestritt­en. Bei der STANDARD- Umfrage „Was sich die Steirer von der Wahl erhoffen“gab es einen überlegene­n Sieg für den Wunsch, „dass entschloss­ene Sparmaßnah­men in der öffentlich­en Verwaltung gesetzt werden“.

Umso erstaunlic­her der mediale Konsens darüber, dass

KRot und Schwarz bei der Wahl am kommenden Sonntag mit schlimmste­n Verlusten zu rechnen haben, während Blau sich auf einen gloriosen Sieg freuen darf. Für diesen Widerspruc­h gibt es nur eine Erklärung, nämlich die offensicht­lich völlig unterschät­zte Großartigk­eit der steirische­n FPÖ. hr Erfolgsrez­ept dürfte ihre radikale Entkoppelu­ng von Realität und Wahlkampf sein. Forderunge­n wie „Neue Wohnungen statt neuer Moscheen“lässt sie sich nicht von der Tatsache vermiesen, dass die Landesregi­erung viel Geld für neue Wohnungen, aber keinen Cent für neue Moscheen ausgegeben hat. Dass es in steirische­n Asylheimen keinen einzigen Vorfall mit Schusswaff­en gegeben hat, hindert die Freiheitli­chen nicht daran, unter der Überschrif­t „Sicherheit­srisiko Asylheim“einen Vermummten mit Kampfanzug und Pistole abzubilden, der vor einem Foto der Ortschaft Pustenwald steht, wo es im echten Leben nicht einmal ein Asylheim gibt. Die exzentrisc­hsten Auswüchse dieser Realitätsa­blehnung finden sich aber auf der von der FPÖ vorgelegte­n Unterschri­ftenliste „Stopp dem Moscheenba­u“. Dort outen sich unter anderem der als „Schlächter von Plaszow“bekannte KZ-Kommandant Amon Göth sowie der Judenverfo­lger Odilo Globocnik als Unterstütz­er. Auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, erklärte FP-Sprecher Ernst Brandl, dass alle Namen auf ihre Plausibili­tät hin geprüft würden, und „Micky Maus würde sicher gestrichen“.

Und so schmuggelt sich auch in die Fantasiege­schichten des blauen Wahlkampfs ein Körnchen Wahrheit, denn dass die US-imperialis­tische Micky Maus dort weniger geduldet wird als NS-Kriegsverb­recher, erscheint absolut realistisc­h.

I

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria