Trockenheit bedroht russisches Weltnaturerbe
Wassernot am Baikal, dem tiefsten See der Erde. Experten streiten über die Ursachen: Staudämme, Klimaveränderungen oder Raubbau an den Wäldern. Das Ökosystem des „Heiligen Meeres“ist in Gefahr.
Weiß leuchten die schneebedeckten Bergkuppen des Sajany-Gebirges im Hintergrund. Den Himmel darüber haben Wind und Maisonne blau geputzt. Im schier endlosen Wasser spiegelt er sich um einen Farbton tiefer und satter wider. „Vorsicht mit dem Ruder, damit wir nicht auf Grund aufsetzen“, warnt Viktor plötzlich. Langsam manövriert er das kleine Motorboot durch die Untiefe. Das Wasser in den „Posolskije Sory“, eines der zahlreichen Haffs an der Ostküste des Baikalsees, glitzert, doch bei näherem Hinsehen ist der schlammige Boden kaum 50 Zentimeter unter der Oberfläche zu erkennen. „Um einen halben Meter ist das Wasser hier gesunken“, sagt Viktor, der sich als Mitarbeiter der Fischwacht vorstellt.
Der Baikal ist mit maximal 1642 Metern der tiefste See der Erde. Ein Fünftel der weltweiten Süßwasserreserven lagern hier, gigantische 23.600 Kubikkilometer hochwertigen Trinkwassers. Er saugt das Wasser von rund 500 Flüssen an, säubert es und leitet es dann in die Angara, den einzigen Abfluss des von den Burjaten als „Heiliges Meer“verehrten Sees. Über 60 Kubikkilometer pro Jahr fließen rein und wieder raus. Doch nun ist das Gleichgewicht aus den Fugen geraten und der Pegel unter die als kritisch geltende Marke von 456 Metern über dem Meeresspiegel gefallen.
An eine Wiederholung des Aralsee-Dramas, der innerhalb von nur 50 Jahren durch intensive Landwirtschaft fast völlig ausgetrocknet ist, wollen vorerst selbst Umweltschützer nicht glauben. Dennoch: Die Folgen des Wasserrückgangs sind schon jetzt empfindlich: Fischer klagen über einen deutlichen Rückgang der Ketalachse und des endemischen, bei Feinschmeckern begehrten Omul. Sergej Schapchajew, Leiter der Umweltorganisation „Regionale Baikalunion Burjatiens“, beziffert die Verluste allein für die Fischwirtschaft auf 24 Milliarden Rubel (über 400 Millionen Euro). „Den Schaden zu berechnen, der durch die Dezimierung der Mikroorganismen entstanden ist, ist praktisch unmöglich“, fügt er hinzu. Diese Organismen säubern den Baikal und bilden die Nahrungsgrundlage für den einzigartigen Artenreichtum.
Massive Abholzung
Für das schnelle Absinken des Wasserspiegels machen die Fischer in Posolskoje neben den seit Jahren ungewöhnlich niedrigen Niederschlagsmengen das massenhafte Abholzen der Taiga in Burjatien verantwortlich. Mit ihrer Meinung sind sie nicht allein: „Das intensive Roden der Wälder hat dazu geführt, dass bei uns in Burjatien 10.000 Flüsse und Bäche ausgetrocknet sind“, sagt Alexej Tiwanenko, Ex-Wissenschafter am Baikal-Institut für Umweltnutzung. Die Bäume halten mit ihren Wurzeln das Wasser im Boden. Sie dienen damit als Speicher für Trockenzeiten. Doch illegaler Holzeinschlag hat nach den Worten des Umweltschützers Gennadi Klimow schon große Teile der Taiga Burjatiens in eine „Mondlandschaft“verwandelt. Das Holz geht dann zumeist unbehelligt vom Zoll nach China.
Auch Klimow klagt über ausgetrocknete Flüsse, sinkendes Grundwasser und versiegende Brunnen. Werde nicht schnell gehandelt, so „wird der Baikal in drei bis fünf Jahren zu einem stehenden Gewässer. Er wird zum Sumpf. Die Symptome sind schon zu sehen – am Nordbaikal werden faulende Pflanzen ans Ufer gespült“, warnte er.
Drohender Kollaps
In seiner 25 Millionen Jahre alten Geschichte hat der Baikal schon mehrfach Feucht- und Trockenperioden durchlebt, womit der Pegel auch deutlich höher oder niedriger stand als heute. Das Problem jetzt ist, dass die Veränderungen aufgrund der menschlichen Tätigkeit schneller vor sich gehen und die Organismen keine Zeit haben, sich umzustellen.
Der reale Kollaps droht dem See, wenn die Mongolei ihre aktuellen Wasserkraftpläne verwirklicht: Russlands südlicher Nachbar will zur Ausbeutung seiner RohstoffLagerstätten an der Selenga, dem größten Zulauf des Baikal, mehrere Staudämme errichten. Das bedeutet, dass über Jahre weniger Wasser in den Baikal fließen wird. Schlimmer noch: Eine Idee ist, einen Teil der Selenga zur Bewässerung der Wüste Gobi umzuleiten. Damit würde der Zulauf dauerhaft verringert. Die Folgen sind nicht abzusehen – in diesem Fall wäre das Horrorszenario Aralsee aber nicht mehr auszuschließen. p derStandard.at/Greenlife