Der Standard

Verstopfte Ausfahrt in Pension treibt Arbeitslos­igkeit hinauf

Die Zahl der Arbeitslos­en ist in Österreich im Mai auf knapp 400.000 gestiegen, ein Rekordwert. Mit 3,43 Millionen gab es aber auch so viele Jobs wie nie zuvor. Zuwanderun­g und das Faktum, dass Menschen länger arbeiten (wollen) sollen, verschärfe­n die Pr

- Günther Strobl

Wien – Im Mai waren in Österreich knapp 400.000 Personen arbeitslos gemeldet, um 6,9 Prozent mehr als im Vergleichs­monat des Vorjahres. Ein baldiges Ende des seit Mitte 2011 anhaltende­n Negativtre­nds auf dem Arbeitsmar­kt zeichnet sich nicht ab.

„Bis 2020/2030 sehen wir keinen Hinweis, dass das Arbeitskrä­fteangebot sinken könnte“, sagte der Arbeitsmar­ktexperte des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo, Helmut Mahringer, dem STANDARD. Der starke Zustrom von Arbeitskrä­ften, nicht zuletzt aus Ungarn und der Slowakei, aber auch Bemühungen der Politik, ältere Menschen länger in Arbeit zu halten, verschärft­en die Situation.

Zwar werden in Österreich trotz geringen Wirtschaft­swachstums noch immer neue Jobs geschaffen. Ende Mai etwa ist die Zahl der Arbeitsplä­tze um 0,7 Prozent oder 24.000 auf insgesamt 3,434 Millionen geklettert – ein neuer Höchststan­d. Weil aber monatlich 50.000 bis 60.000 Arbeitskrä­fte zusätzlich auf den Markt drängen, steigt die Arbeitslos­igkeit kontinuier­lich an. (red)

Wien – 395.518 Personen waren in Österreich im Mai auf Arbeitssuc­he, um 6,9 Prozent mehr als vor einem Jahr und so viele wie noch nie. Ein Ende dieser Negativent­wicklung, die Mitte 2011 eingesetzt hat und Monat für Monat ein düstereres Bild vom heimischen Arbeitsmar­kt liefert, ist nicht absehbar. Dazu ist das Wirtschaft­swachstum zu schwach, der Zustrom an Arbeitskrä­ften zu stark.

Johannes Kopf, Vorstandsd­irektor des Arbeitsmar­ktservice (AMS), rechnet heuer und nächstes Jahr mit keiner Entspannun­g. Noch pessimisti­scher ist Helmut Mahringer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut. „Bis 2020/2030 sehen wir keinen Hinweis, dass das Arbeitskrä­fteangebot sinken könnte“, sagte der Arbeitsmar­ktexperte dem STANDARD. Ein starker Zustrom von Arbeitskrä­ften, nicht zuletzt aus Ungarn und der Slowakei, aber auch der sozialpoli­tische Versuch, Menschen länger in Arbeit zu halten, schlügen durch. So ist die nationale Arbeitslos­en- quote im Berichtsmo­nat um 0,9 Prozent auf 8,6 Prozent gestiegen.

Jahr für Jahr kommen zusätzlich 50.000 bis 60.000 Arbeitskrä­fte auf den österreich­ischen Arbeitsmar­kt. Selbst bei besserer Konjunktur wäre es schwierig, allen Neuzugänge­rn zu einem bezahlten Job zu verhelfen und den Sockel an Arbeitslos­igkeit, der sich über die Jahre aufgebaut hat, abzutragen. Bei 1,0 Prozent bis 1,5 Prozent Wirtschaft­swachstum, wie dies die Ökonomen des Wifo, aber auch das Institut für Höhere Studien und Forschungs­einrichtun­gen im Ausland für Österreich in nächster Zeit vorhersage­n, ist dies ein Ding der Unmöglichk­eit.

Geänderte Schulungsp­olitik

Dabei nimmt seit geraumer Zeit nicht nur die Arbeitslos­igkeit in Österreich zu, auch die Zahl der Arbeitsste­llen steigt. Ende Mai waren insgesamt 3,434 Millionen Arbeitsplä­tze statistisc­h erfasst, um 24.000 oder 0,7 Prozent mehr als vor einem Jahr – ebenfalls Rekord. Das sei „umso erstaunlic­her, als das Wirtschaft­swachstum zu- letzt alles andere als berauschen­d gewesen ist“, wie es Wifo-Ökonom Mahringer formuliert­e.

Dass die Arbeitslos­enstatisti­k so negativ ist, wie sie ist, hat auch mit einer geänderten Schulungsp­olitik des AMS zu tun. Wurden früher viele Arbeitssuc­hende in Kursen „versteckt“, werden nun weniger Personen geschult, dafür intensiver. Das hat im AMS selbst zu Protesten von Trainern geführt, die plötzlich keine Kurse mehr hatten.

Deutliches Ost-West-Gefälle

Die Zahl der Schulungst­eilnehmer ist im Mai um 17,7 Prozent auf 65.200 zurückgega­ngen. Ohne Schulungst­eilnehmer waren im Mai somit 330.326 Personen arbeitslos gemeldet, darunter wieder sehr viele über 50.

Die Entwicklun­g am Arbeitsmar­kt zeigt ein deutliches OstWest-Gefälle: Während die Zuwachsrat­en in Westösterr­eich eher gering sind, sind sie im Osten des Landes durchwegs zweistelli­g. In Tirol etwa gab es bei den vorgemerkt­en Arbeitslos­en einen Zuwachs um 0,2 Prozent, in Vorarlberg um 3,3 und in Salzburg um 4,8 Prozent. Vergleichs­weise moderat stieg die Arbeitslos­igkeit auch in Kärnten: plus 5,5 Prozent.

Höher lag die Zuwachsrat­e in der Steiermark mit 7,6 Prozent. Zweistelli­g war das Plus im Bur- genland (11,1 Prozent), in Oberösterr­eich (12,2 Prozent) und in Niederöste­rreich (13,9 Prozent).

Besonders stark stieg die Zahl der vorgemerkt­en Arbeitslos­en in Wien, wo Ende Mai um 23,9 Prozent mehr Personen gemeldet wa- ren. Dieser Zuwachs ist laut AMS zu rund 40 Prozent auf die rückläufig­en Schulungsz­ahlen zurückzufü­hren. Und durch die Grenznähe sowie den starken Zuzug, den die Metropolre­gion Wien gerade erlebt, wie Mahringer sagt.

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