Der Standard

Warum Lagarde den Grexit fürchten muss

Um Griechenla­nd mit Milliarden finanziere­n zu können, hat der IWF seine Regeln umgeschrie­ben und auch mal beide Augen fest zugedrückt. Im Schuldenst­reit mit Athen steht deshalb auch die Zukunft der IWF-Chefin auf dem Spiel.

- András Szigetvari DSA Brasilien, Indien, RussSaudi-Arabien.

ANALYSE: Wien – Nach unzähligen Falschmeld­ungen über die bevorstehe­nde Pleite sieht es nun so aus, als stünde der Zahlungsau­sfall Griechenla­nds tatsächlic­h bevor. 1,6 Milliarden Euro Schulden muss Athen bis Ende Juni an den Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) zurückzahl­en. Die erste Tranche über 300 Millionen wird Freitag fällig. Die Regierung in Athen sagt, sie könne das Geld aus eigener Kraft wohl nicht auftreiben.

Griechenla­nd braucht also dringend einen neuen Milliarden­kredit von den übrigen Euroländer­n und dem IWF, um seine Schulden bei eben diesen Gläubigern abzubezahl­en. Das ist nur eine der Widersprüc­hlichkeite­n der aktuellen Krise. Ein ganz anderes Paradoxon betrifft die Frage, für wen ein Zahlungsau­sfall Athens schlimmer wäre: für Griechenla­nd oder seine Geldgeber?

So klar lässt sich das nicht beantworte­n, weil auch die IWFFührung um Christine Lagarde die politische­n Konsequenz­en der Hellas-Turbulenze­n fürchten muss. Das liegt an der Zahl 50, an der Abkürzung und an Ländern wie land und

Im Mai 2010 entschloss sich der Währungsfo­nds, die Nothilfe für Griechenla­nd mitzutrage­n. 30 Milliarden Euro sagte der IWF zu. Ein Rekordwert. Noch nie in seiner 70-jährigen Geschichte hatte der Fonds einem Land einen derart hohen Kredit gewährt. Mit dem Geld rettete die Finanzorga­nisation unter der damaligen Führung von Dominique Strauss-Kahn aber nicht nur Hellas vor der Pleite. Der IWF, der vor Ausbruch der Finanzkris­e 2008 kaum noch als Geber in Erscheinun­g trat, war als Akteur zurück und sicherte sich obendrein Einfluss in Europa.

Doch um Krisenfeue­rwehr spielen zu können, musste StraussKah­n von Beginn an die Regeln dehnen. Der IWF darf sich an großen Finanzoper­ationen nur betei- ligen, wenn vier Bedingunge­n erfüllt sind. Eine lautet: Die öffentlich­e Verschuldu­ng eines Staates muss „mit hoher Wahrschein­lichkeit“tragfähig sein. Die IWF-Ökonomen hätten 2010 also feststelle­n müssen, dass Griechenla­nd weder überschuld­et ist noch dem Land die Überschuld­ung droht.

Dies war aber unmöglich. Deshalb wurde die Regel erweitert und ein Passus aufgenomme­n, wonach Gelder auch fließen dürfen, wenn sich die Krise ansonsten auszubreit­en droht.

Auf jeden Fall dabei sein, auch wenn die Risiken hoch sind: An dieser Maxime hielt auch Christine Lagarde fest. Sie übernahm im Juli 2011 die IWF-Führung von Strauss-Kahn, der nach einem Sexskandal abdanken musste.

IWF will mitreden

Beim Währungsfo­nds existiert ein lang erprobtes Verfahren, das festlegt, wie und wann der IWF Gelder ausbezahle­n darf. Eine der Grundregel­n besagt, dass jedes Mal bevor auch nur ein Cent überwiesen wird, eine sogenannte „debt sustainabi­lity analyses“– DSA – durchgefüh­rt werden muss. Die IWF-Experten müssen also durchrechn­en, ob der betreffend­e Staat noch Gelder bekommen darf oder in Wahrheit nicht schon pleite ist.

Diesfalls darf nichts mehr überwiesen werden. Von Mai 2010 bis Juni 2014 hat der IWF Griechenla­nd vierteljäh­rlich die Schuldentr­agfähigkei­t bescheinig­t, obwohl das Land von Anbeginn des Programms in den Augen der meisten Experten de facto pleite war.

Diplomaten in Washington erzählen, dass dies nur möglich war, weil großzügige Annahmen über die wirtschaft­liche Entwicklun­g getroffen wurden. So rechneten die Fonds-Experten im Sommer 2011 etwa ein, dass Griechenla­nd in den kommenden vier Jahren 50 Milliarden Euro über Privatisie­rungen einnehmen werde. Geworden sind es gerade fünf Milliarden Euro. Solche Annahmen halfen mehrere der DSA-Tests formal zu überstehen. Lagarde ist nicht allein verantwort­lich für die breite Auslegung der Regeln. Jede Geldüberwe­isung des Fonds muss vom 24-köpfigen Direktoriu­m abgesegnet werden, in dem alle Länder vertreten sind.

Doch das Direktoriu­m agiert nur auf Empfehlung des IWF-Chefs „und Lagarde wusste, wie sie aufs Direktoriu­m einwirken muss, um grünes Licht zu bekommen“, sagt ein Diplomat in Washington. Wenn die IWF-Chefin also so wie vor wenigen Tagen behauptet, dass es keine „überhastet­e und schlampige“Kreditvere­inbarung mit Athen geben kann, weil man die internen Regeln des Fonds ernst nehmen müsse, ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn es opportun erschien, wurden Regeln gebogen.

Interne Schelte

Und das hat innerhalb des Fonds zu Verstimmun­gen geführt. Neben Indien und Brasilien wurde die Vorgehensw­eise Lagardes auch von Russland kritisiert, erzählen Eingeweiht­e.

Wenn Griechenla­nd den IWF nicht pünktlich ausbezahlt, passiert real zunächst wenig: Der Fonds muss Gespräche mit dem säumigen Schuldner beginnen und ihn verwarnen. Doch innerhalb des IWF könnten Kritiker Auftrieb erhalten, sagt ein Diplomat. Wenn Griechenla­nd seine Schulden nicht zeitgerech­t bedient, könnte dies auch bei anderen Schuldnern des Fonds Begehrlich­keiten wecken.

Verkompliz­ierend kommt hinzu, dass einige IWF-Mitgliedsl­änder direkt um ihr Geld fürchten müssen, sollte es keine Einigung mit Athen geben. Die Kredite an angeschlag­ene Staaten finanziert der Fonds immer, indem er bei Ländern, die finanziell gut dastehen, Gelder abruft. Bekommt der IWF also sein Geld nicht zurück, kann er auf der anderen Seite auch seine Kreditgebe­r nicht oder nur schwer ausbezahle­n.

Zu den großen Geberstaat­en zählen aktuell nicht nur Euroländer wie Deutschlan­d, sondern auch außereurop­äische Länder wie die USA, Saudi-Arabien, Indien und Russland. Österreich hat sich über die Nationalba­nk mit rund einer halben Milliarde Euro an IWF-Hilfprogra­mmen beteiligt.

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Wer sitzt am längeren Ast? IWF-Chefin Lagarde will Griechenla­nd einen neuen Kredit geben, damit das Land seine Schulden beim Fonds zahlt. Athens Finanzmini­ster Varoufakis lehnt den bisherigen Kurs ab.

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