Antigones Besuch im Lampenladen
Im Wiener Burgtheater wurde die „Antigone“des Sophokles mit allerlei behübschenden Effekten aufgepeppt – nicht immer zum Besten der Aufführung. Joachim Meyerhoff und Aenne Schwarz vermögen zu beeindrucken. Der Rest ist Kunstlicht.
Wien – Die Antigone des Sophokles gehört zu den Gründungsdokumenten abendländischer Kultur. Der Gerichtsfall der Ödipustochter ist verzwickt. Antigone erhebt Einspruch gegen das Verdikt des Kreon. Ihr einer Bruder hat die Stadt Theben gegen den anderen verteidigt. Eteokles, Verteidiger der Heimat, wird in allen Ehren beerdigt. Polyneikes wird als Aggressor identifiziert und soll unbegraben im Staub liegen bleiben.
Die Prinzipien prallen jetzt im Wiener Burgtheater aufeinander. Der Stadtvater (Joachim Meyerhoff) stellt sein Verbot über alle Blutsbande. Antigone (Aenne Schwarz) entwickelt durch ihr stolzes Aufbegehren ein moralisches Überlegenheitsgefühl. Beide führen vor den Augen des alles kommentierenden Chores gute Argumente im Angebot. Regisseurin Jette Steckel ist das irgendwie nicht genug. Der wahre Held der Aufführung ist in ihren, vor allem aber in unseren Augen eine gigantische Lichtmaschine. Ein Hoch dem Verblendungszusammenhang.
Acht mal zehn Scheinwerfer bilden auf stählernem Gerüst ein strahlendes Geviert. Theben ist ein antiker Lampenladen (Bühne: Florian Lösche). Zu seinen Füßen wird recht eindrucksvoll gespielt. Kreon, ganz antiker König, bricht noch rasch eine Lanze übers Knie. Seine kleidsame Krone verrät die Selbstgefälligkeit des Autokraten. Der Bote (Philipp Hauß), der von der Übertretung des Bestattungsverbotes berichtet, muss den Hanswurst geben, um sich der Ungunst seines Herrschers mit den Mitteln der Komödie zu erwehren.
Mit Schwarz hat die Burg eine famose Deklamationskünstlerin hinzugewonnen. Ihr holder Starrsinn vibriert und steckt voller spiritueller Kraft. Und doch misstraut Steckel der Grundkonstellation. Gleich zu Beginn muss der blinde Seher Teiresias (Martin Schwab) den Leonard Cohen geben. Die schönen Chorlieder werden aus den Seitenlogen gesungen und stammen aus den Musiklabors von Soap & Skin (Anja Plaschg) und den 1000 Robotas (Anton Spielmann). Der Sprechchor lungert im Parkett herum. Man kann nicht sagen, wunderbare Schauspieler wie Oliver Masucci (Chorleiter) würden besonders typengerecht eingesetzt.
Steckels Antigone zündet nicht. Wie festgebannt bleibt Meyerhoff in Trance gefangen, ein Monarch von starrer Benommenheit. Immer dann, wenn die Abgründe gähnen und man meint, die Positionen wären untereinander nicht mehr zu vermitteln, wirft die Regie die FM4-Maschine an.
Zum wundermilden Gesang kommt die Ablenkung durch das Licht. Die Scheinwerfer stechen in die Augen, der Mythos wird zur Angelegenheit von Kilowattstunden. Fast unmerklich rutschen die handelnden Personen ins bürgerliche Zeitalter herüber. Man plündert die Kostümboutique. Zum Ende schließlich – Antigone ist tot, Kreons eigener Sohn gleich mitgestorben – bindet der König sich einen grauen Angestelltenschlips um den Hals: „Kein Mensch soll mich begraben.“
So endet, pflichtschuldig akklamiert, mit Farbtupfern von Mavie Hörbiger (Ismene) und Mirco Kreibich (Haimon) aufgehübscht, eine Aufführung, die ihrer eigenen Ratlosigkeit vor dem Mythos zu misstrauen scheint.