Dunkelbunte Selbstvermessung in einer wachsenden Stadt
Das Österreichische Kulturforum in Warschau feierte sein 50-jähriges Bestehen mit Open-Air-Musik, Diskussionen und viel Kaffee
Der gigantische Kulturpalast, ein Zwangsgeschenk Stalins, erinnert noch heute viele Bewohner Warschaus an die dunklen Tage der Stadt. Leute über dreißig, sagt man, würden den Palast gerne niederreißen, die Jüngeren finden ihn irgendwie cool und lieben die zeitgemäße Zweckentfremdung solcher Bauten: Diese postmoderne Gelassenheit kannte man bis- her vor allem aus Berlin, mit dem Warschau nicht ohne Grund zunehmend verglichen wird. Mit 1,7 Millionen zählt die junge und wachsende Stadt heute so viele Einwohner wie Wien. Galerien boomen, neue Museen und Clubs entstehen – betont wird das Werden, nicht das Gewordene.
Auch beim Österreichischen Kulturforum in Warschau wollte man den retrospektiven Blick anlässlich des 50-Jahr-Bestandsjubi- läums am vergangenen Wochenende nicht überstrapazieren. Österreichs erstes Kulturforum hinter dem Eisernen Vorhang, das in den 70er- und 80er-Jahren für Literaten und Dissidenten zu einem der wenigen „Fenster in den Westen“avancierte, feierte seinen Runden mit Diskurs und Musik.
In einem Fußgängerdurchgang der Altstadt hat man dennoch ein paar Schautafeln positioniert, die die Geschichte und aktuelle Arbeit des Forums dokumentieren. Im Forum selbst, gelegen in der Prózna-Straße im ehemaligen jüdischen Ghetto, wird zusätzlich die Ausstellung All artists mit Fotos von Künstlern gezeigt, die mit dem Kulturforum über die letzten 15 Jahre zusammengearbeitet haben. Einen der beiden Räume hat man zum Wiener Kaffeehaus samt Ober umgestaltet.
Raunzen und Feiern
Vom Tratsch im Café schritt man im Hauptraum zur Diskussion. Ausgehend vom Kurzfilm
von Marta Prus sprachen österreichische und polnische Vertreter über die unterschiedlichen Erfahrungen mit Integration, Islam und Rechtspopulismus. Um die gegenwärtige und zukünftige Rolle der Auslandskultur ging es in einem zweiten Podiumsgespräch. Betont wurde die Leistung der Kultur- foren für die europäische gration.
Umjubelter Höhepunkt des zweiten Abends: ein eigens für die 50-Jahr-Feier vom Drehleier-Virtuosen Matthias Loibner initiiertes Projekt mit der VolksmusikCombo von Janusz Prusinowski. Insgesamt zehn Musiker aus Österreich und Polen vermengten traditionelle polnische Dorfmusik mit österreichischer Jazzimprovisation. Der an- und abschwellende Sound beschrieb dann auch Gemeinsamkeiten in der Mentalität: Denn im Raunzen und Feiern seien sich Österreicher und Polen ähnlich, sagt man.
Martin Meisel, Direktor des Warschauer Kulturforums, freute sich über die Anteilnahme am Jubilä-
Inte- umsprogramm. Mit einem Jahresbudget von 170.000 Euro liege die Hauptaufgabe des Forums darin, zu vermitteln, Zeitgenössisches zu fördern und dort nachzuhelfen, wo Projekte auf der Kippe stehen.
Kultureller Austausch, der sich zusehends verselbstständigt, ist ihm nur recht, denn dann habe seine Einrichtung alles richtig gemacht, sagt er. Dass dies die Arbeit der Kulturforen irgendwann obsolet machen könnte, glaubt der Diplomat nicht: „Es ist wie bei Öffentlichkeitsarbeit: Hört man damit auf, würde es noch ein paar Jahre nachlaufen und dann verebben.“Entscheidend für den Fortbestand sei der ständige Perspektivwechsel. Warschau ist dafür ein Musterbeispiel.