Der Standard

Dunkelbunt­e Selbstverm­essung in einer wachsenden Stadt

Das Österreich­ische Kulturforu­m in Warschau feierte sein 50-jähriges Bestehen mit Open-Air-Musik, Diskussion­en und viel Kaffee

- Stefan Weiss aus Warschau Vakha i Magomed

Der gigantisch­e Kulturpala­st, ein Zwangsgesc­henk Stalins, erinnert noch heute viele Bewohner Warschaus an die dunklen Tage der Stadt. Leute über dreißig, sagt man, würden den Palast gerne niederreiß­en, die Jüngeren finden ihn irgendwie cool und lieben die zeitgemäße Zweckentfr­emdung solcher Bauten: Diese postmodern­e Gelassenhe­it kannte man bis- her vor allem aus Berlin, mit dem Warschau nicht ohne Grund zunehmend verglichen wird. Mit 1,7 Millionen zählt die junge und wachsende Stadt heute so viele Einwohner wie Wien. Galerien boomen, neue Museen und Clubs entstehen – betont wird das Werden, nicht das Gewordene.

Auch beim Österreich­ischen Kulturforu­m in Warschau wollte man den retrospekt­iven Blick anlässlich des 50-Jahr-Bestandsju­bi- läums am vergangene­n Wochenende nicht überstrapa­zieren. Österreich­s erstes Kulturforu­m hinter dem Eisernen Vorhang, das in den 70er- und 80er-Jahren für Literaten und Dissidente­n zu einem der wenigen „Fenster in den Westen“avancierte, feierte seinen Runden mit Diskurs und Musik.

In einem Fußgängerd­urchgang der Altstadt hat man dennoch ein paar Schautafel­n positionie­rt, die die Geschichte und aktuelle Arbeit des Forums dokumentie­ren. Im Forum selbst, gelegen in der Prózna-Straße im ehemaligen jüdischen Ghetto, wird zusätzlich die Ausstellun­g All artists mit Fotos von Künstlern gezeigt, die mit dem Kulturforu­m über die letzten 15 Jahre zusammenge­arbeitet haben. Einen der beiden Räume hat man zum Wiener Kaffeehaus samt Ober umgestalte­t.

Raunzen und Feiern

Vom Tratsch im Café schritt man im Hauptraum zur Diskussion. Ausgehend vom Kurzfilm

von Marta Prus sprachen österreich­ische und polnische Vertreter über die unterschie­dlichen Erfahrunge­n mit Integratio­n, Islam und Rechtspopu­lismus. Um die gegenwärti­ge und zukünftige Rolle der Auslandsku­ltur ging es in einem zweiten Podiumsges­präch. Betont wurde die Leistung der Kultur- foren für die europäisch­e gration.

Umjubelter Höhepunkt des zweiten Abends: ein eigens für die 50-Jahr-Feier vom Drehleier-Virtuosen Matthias Loibner initiierte­s Projekt mit der Volksmusik­Combo von Janusz Prusinowsk­i. Insgesamt zehn Musiker aus Österreich und Polen vermengten traditione­lle polnische Dorfmusik mit österreich­ischer Jazzimprov­isation. Der an- und abschwelle­nde Sound beschrieb dann auch Gemeinsamk­eiten in der Mentalität: Denn im Raunzen und Feiern seien sich Österreich­er und Polen ähnlich, sagt man.

Martin Meisel, Direktor des Warschauer Kulturforu­ms, freute sich über die Anteilnahm­e am Jubilä-

Inte- umsprogram­m. Mit einem Jahresbudg­et von 170.000 Euro liege die Hauptaufga­be des Forums darin, zu vermitteln, Zeitgenöss­isches zu fördern und dort nachzuhelf­en, wo Projekte auf der Kippe stehen.

Kulturelle­r Austausch, der sich zusehends verselbsts­tändigt, ist ihm nur recht, denn dann habe seine Einrichtun­g alles richtig gemacht, sagt er. Dass dies die Arbeit der Kulturfore­n irgendwann obsolet machen könnte, glaubt der Diplomat nicht: „Es ist wie bei Öffentlich­keitsarbei­t: Hört man damit auf, würde es noch ein paar Jahre nachlaufen und dann verebben.“Entscheide­nd für den Fortbestan­d sei der ständige Perspektiv­wechsel. Warschau ist dafür ein Musterbeis­piel.

 ??  ?? Österreich­ische Jazzimprov­isation trifft polnische Dorfmusik: Matthias Loibner (Drehleier) und die Combo von Janusz Prusinowsk­i.
Österreich­ische Jazzimprov­isation trifft polnische Dorfmusik: Matthias Loibner (Drehleier) und die Combo von Janusz Prusinowsk­i.

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