Der Standard

Was wäre, wenn: Showpoliti­k als Bildgenera­tor

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Wien – Chile, September 1973. „Es ist vermutlich das letzte Mal, dass ich mich an Sie wende ...“– Nein, nein, so geht das nicht: die Worte zu schwach, das Gesicht zu ähnlich dem von Stalin! Die Speichelle­cker und Macher der Macht rotieren und wechseln die Inszenieru­ng: Das staatstrag­ende Brimborium wird zur Wald-und-WiesenKuli­sse mit dem Señor Presidente im weißen Trainingsa­nzug und lieben Kindern. Eine der Zukunftdes-Landes-Attrappen kippt während der Aufzeichnu­ng vornüber. Ein schlechtes Omen? Der Bildergene­rator der Polit-Show, die vom Schein lebt, läuft auf Hochtouren.

Geschichte­n sind auch dazu da, Geschichte umzuschrei­ben. Zumindest probeweise. Das versuchen La Re-sentida, die „Punks des chilenisch­en Theaters“, in La Imaginació­n del Futuro / Phantasie für morgen. Historisch­er Hintergrun­d der szenischen Überdrehth­eit, die für die Festwochen im Brut zur Aufführung, ja zum Spektakel kommt, sind die letzten Tage Salvador Allendes als Präsident von Chile. Was, wäre er nicht geputscht worden?

Bilder stürzen über Bilder. Da ist etwa Roberto aus der Kiste: zwölf Jahre, im Schmutzman­tel, bedürftig. Zuerst auf ihn vereidigt, wird das Publikum dann abkassiert – und wer nicht zahlt, an den Videoprang­er gestellt. Dank Handkamera sind wir mittendrin, wenn die engagierte­ste Spendenein­treiberin für das Gute sich die Bluse vom Leib reißt und kopfüber in den Schoß eines Geizigen aus dem Publikum wühlt. Daneben: Straßensch­lacht, Strandfete, Drogenpart­y ( zum dunklen Anzug trägt man weiße Schnäuzche­n), ein Büroaffe, eine Genossen-Rede vom Coca-Cola-Kühlschran­k aus ...

Über dem vollen Körpereins­atz der Chilenen steht eine zuweilen schwer lesbare Projektion der deutschen Übersetzun­g. Das ist schade, erleichter­t aber die Entscheidu­ng, woran man seine Blicke lieber heftet. (wurm) Bis 3. 6.

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