Der Standard

Große Gefühle

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Was immer wieder frappiert bei der Betrachtun­g der schönen neuen jungen Welt der sozialen Medien, ist deren Hang zum Kitsch, der in der intellektu­ellen Anmutung durchaus mit den Nesthäkche­nromanen vergleichb­ar ist, die den Ur- oder Ururgroßmü­ttern der heutigen Jugend gefallen haben. Von cool jedenfalls keine Spur.

Ob es jetzt der kleine Filipino ist, der auf der Straße seine Hausaufgab­en macht und weltweit zu Tränen rührt, oder der zehnjährig­e syrische Bub, der soeben in Syrien getötet wurde und zuvor seit 2007 (da war er demnach zwei, und in Syrien gab es keinen Krieg) als Flüchtling in Beirut auf der Straße Blumen verkaufte, oder die immer wieder auftauchen­den falschen Krebskrank­en: Es gibt nichts, was nicht geglaubt wird, wenn es große Gefühle erzeugt.

In diese Kategorie gehören auch die Twitter-Kampagnen, die angeblich einem guten Zweck dienen, für den man sich öffentlich zum Idioten machen muss – man erinnere sich an die „Icebucket“-Geschichte vom Vorjahr. Noch attraktive­r wird es, wenn das Ganze auch noch eine moralische Botschaft hat, die der Selfie-Generation erlaubt, sich gut dabei zu fühlen, wenn sie ihre narzisstis­chen Züge auslebt – wie zum Beispiel #DontJudgeC­hallenge, wo sich junge Leute zuerst lächerlich verunstalt­en und dann „normal“abbilden. Angeblich ist das eine Aktion gegen „body shaming“. Gemeint ist aber nur: Ich bin so schön, dass es viel bedarf, mich hässlich zu machen.

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