Der Standard

Vor der lieblichen Seenkuliss­e probt Kärnten in diesem Sommer die ersten Akte einer griechisch­en Tragödie. Nur ein Notkredit des Bundes rettete vor der Pleite. Das Land muss den Gürtel jetzt brutal enger schnallen und nimmt dabei gerade jenen die Luft we

- Walter Müller

und polarisier­t. Es ist voll abgegangen. Und jetzt zahlen wir halt die Rechnung dafür.“

Der grüne Landesrat und HypoAufdec­ker Rolf Holub wird noch direkter: „Haider hatte Narrenfrei­heit. Er war bei uns der Cäsar. Der konnte in die Bank hineingehe­n, ein Konto aufmachen und Gelder abheben – ohne Unterschri­ft, ohne Sicherheit. Wer hat sich schon getraut, ihm zu widersprec­hen? Angeschiss­en habe sie sich alle.“

Aufräumarb­eiten

Die neue Landesregi­erung unter Peter Kaiser (SPÖ) ist seit dem Amtsantrit­t vor zwei Jahren fast ausschließ­lich mit Aufräumarb­eiten beschäftig­t. Immer am Rande des finanziell­en Abgrundes balanciere­nd, immer das Katastroph­enbild Griechenla­nds vor Augen. Ohne den 343-Millionen-EuroKredit, den der Bund kürzlich nach langen, für Kärnten demütigend­en Verhandlun­gen letztlich doch rausrückte, wäre das Land pleite gewesen. Die Salzburger Politikwis­senschafte­rin und Europa-Expertin Sonja PuntscherR­iekmann ist der Meinung: „Im Grunde genommen ist Kärnten so pleite wie Griechenla­nd.“

In Klagenfurt macht in diesen Tagen eine neue Wortschöpf­ung die Runde. „Prekärnten“– die Fusion aus Prekariat und Kärnten.

Die Landesregi­erung muss jetzt

REPORTAGE: jedenfalls den Gürtel brutal enger schnallen und nimmt dabei gerade jenen die Luft weg, die die größte Hoffnung in diese neue SPÖ-geführte Regierung gesetzt hatten. Jene, die nach den Haider-Jahren den Machtwechs­el in Kärnten herbeigese­hnt hatten – die kritischen, autonomen, freien Kulturund Sozialinit­iativen. Sie sind jetzt die Ersten, die den Sparstift zu spüren bekommen. Während ringsum, wie sie kritisiere­n, weiter mit hunderttau­senden Euro Fasching gefeiert wird, beim Bodypainti­ng-Festival, beim Beachvolle­yball, der Starnacht oder dem GTI-Treffen. Viel Spiele weiterhin, aber immer weniger Brot.

„Das ist alles wirklich sehr bitter“, klagt Emil Kristof vom Klagenfurt­er Universitä­tskulturze­ntrum Unikum, „in der Haider-Zeit waren wir auf Nulldiät gesetzt und hatten uns von der Regierung natürlich einen Aufbruch erwartet. Aber wir wurden schwer enttäuscht. 2016 soll es für uns noch schlimmer werden.“

Gerhard Lehner, Chef des Klagenfurt­er Ensembles, musste vier Mitarbeite­r kündigen. „Ein Skandal, dass jene, die jahrelang gegen Haider Widerstand geleistet haben, jetzt bestraft werden – und all der Kommerz dank langfristi­ger Verträge weiter lustige Urständ’ feiert.“Und auch Angelika Hödl von der Interessen­vertretung der freien und zeitgenöss­ischen Kulturinit­iativen in Kärnten/Koroška (KIKK) zeigt sich desillusio­niert: „Es ist traurig und absurd, dass es uns jetzt schlechter geht als unter den Blauen. Das alles folgt im Grunde derselben Finanz- und Politiklog­ik wie jetzt in Griechenla­nd.“Auch die erpresseri­sche Art, wie Wien mit Kärnten umgesprung­en sei und das Land zu diesem Sparkurs gezwungen habe, passe da ins Schema.

Gekürzt wird überall, bei den Schulen, von Beamten bis zum Tourismus. Ungeschore­n bleibt auch der Gesundheit­sbereich nicht. 2016 müssen 51 Millionen Euro eingespart werden, einen Teil muss die Kulturszen­e aufbringen. Rund 60 bis 70 Kulturinit­iativen sind von Budgetkürz­ungen betroffen. „Für das Gros der Bevölkerun­g ist es wahrschein­lich kaum bemerkbar, da die Initiative­n nur in der Szene bekannt sind, für die Entwicklun­g einer Gesellscha­ft sind sie aber ein wichtiger kulturelle­r Humus. Da geht großes Potenzial verloren“, warnt die in Kärnten lehrende Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle.

Kein Honig mehr

Landeshaup­tmann Peter Kaiser, ein studierter Soziologe, ist sich der Tragweite der Problemati­k natürlich bewusst. „Wir sind ohne Zweifel in einer extrem schwieri- gen Situation. Als der 343-Millionen-Euro-Kredit da war, haben natürlich alle geglaubt, jetzt fließen wieder Milch und Honig. Aber das gibt’s nicht mehr. Wir haben keine andere Wahl und müssen alle Ausgaben überprüfen und schauen, ob sie Arbeitsplä­tze bringen, Innovation­en und Wirtschaft­simpulse auslösen. Wir dürfen und werden natürlich keinen Kahlschlag machen.“Aber genau das wird von der jungen Szene beklagt.

Die Industriel­lenvereini­gung Kärnten hat in diesem Zusammenha­ng kürzlich nachgerech­net, dass jeden Tag – statistisc­h gesehen – neun gut ausgebilde­te Kärntner Jugendlich­e das Land verlassen. Mehr als die Hälfte all jener, die in andere Bundesländ­er abwandern, verfügt über einen Hochschula­bschluss.

Substanzve­rlust

Der Substanzve­rlust im Land ist auch augenschei­nlich. „Es ist schon traurig, wenn man sieht, wie auch die Geschäfte in der Stadt zusperren und man überall leere Schaufenst­er sieht“, sagt die Klagenfurt­er Buchhändle­rin Sabine Tscharre, die vor einem Supermarkt mit ihrem Hund an der Leine wartet. Es sei schwer durchzukom­men in diesen Tagen.

Schräg gegenüber dem Shoppingce­nter ragt die monströse Stahl-Glas-Konstrukti­on des USArchitek­ten Thom Mayne für die einstige Hypo-Zentrale wie ein Geistersch­iff aus dem Boden. Ein 250-Millionen-Mahnmal provinziel­len Größenwahn­s, der ein Bundesland in den Ruin getrieben und ehemalige Topmanager und Politiker hinter Gitter gebracht hat.

Es gibt aber auch noch einen anderen, überrasche­nden Blickwinke­l auf das Krisenland Kärnten. „Das Bundesland Kärnten steht eigentlich hervorrage­nd da, weit besser als der österreich­ische Durchschni­tt“, sagt Gilbert Waldner, Sprecher der Kärntner Industriel­lenvereini­gung. „Kärn-

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Fotos: der Plankenaue­r SPÖ-Landeshaup­tmann Peter Kaiser ist mit Aufräumarb­eiten beschäftig­t und hat kaum noch finanziell­en Spielraum zur politische­n Gestaltung. Für Grünen-Landesrat Rolf Holub war Haider „der Cäsar“Kärntens.
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