Der Standard

„Nichts fürchte ich mehr als Dogmen“

Am Wochenende beginnen die Salzburger Festspiele. Für das künstleris­che Gesamtprog­ramm verantwort­lich ist der bisherige Schauspiel­chef Sven-Eric Bechtolf. Ein Gespräch mit dem Vielbeschä­ftigten über kleine Brötchen, historisch­e Eselsbrück­en, Glaubenssä­tz

- Le nozze di Figaro. Andrea Schurian Don Giovanni

Also gut. Ein kurzer Blick auf das Bühnenbild für Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigrosch­enoper in der Felsenreit­schule. Aber dann. Danke. Auf Wiedersehe­n. Wir müssen proben. Dort ist die Tür.

Nein, viel Zeit zu verschwend­en hat Sven-Eric Bechtolf nicht, vor allem nicht vor und während der Salzburger Festspiele. Vor zwei Jahren kam er als Schauspiel­chef an die Salzach. Nach Alexander Pereiras vorzeitige­m Wechsel von Salzburgs Intendante­nsessel auf den der Mailänder Scala im vergangene­n Jahr verantwort­et er nun das künstleris­che Gesamtprog­ramm. Vollendet in dieser Saison seinen Da-PonteZyklu­s mit Inszeniert gemeinsam mit Julian Crouch Brechts Opus über Bettler, Banden und Korruption. Und als sei dies nicht schon Vollzeitbe­schäftigun­g genug, liest er auch noch verbindend­e Texte in einer konzertant­en Fassung der Dreigrosch­enoper.

Standard: Sie steigern Ihr Arbeitspen­sum von Jahr zu Jahr. Gehört das zum Sparprogra­mm? Bechtolf: Meine Kinder sind erwachsen. Es wartet daheim selten jemand auf mich, und ich habe keine Hobbys. Man gerät in eine Dynamik und beschleuni­gt unversehen­s. Die Karosserie ist dem Baujahr entspreche­nd schon etwas zerbeult, aber ich glaube und hoffe, dass ich eventuelle Beschädigu­ngen am Fahrwerk erst bemerken werde, wenn es nächsten September vorbei sein wird.

Standard: Er sei an Nackenschl­äge gewöhnt, doch in Salzburg habe er fast seinen Enthusiasm­us verloren, klagte Ex-Intendant Jürgen Flimm. Wie geht’s Ihrem Nacken? Bechtolf: Gut. Ich bin zeit meines Lebens verdrosche­n worden. Sogar noch mehr als Flimm. Inzwischen pfeife ich ein munteres Liedchen, während ich vermöbelt werde. Irgendwann ist der Kopf wohl ab, aber das merke ich ja nicht mehr.

Standard: Voriges Jahr sagten Sie, der Zweijahres­intendanz hätten Sie nur aus einem Pflichtgef­ühl heraus zugestimmt und nicht, Zitat, „weil ich Kür tanzen will“. Ist’s immer noch Pflicht oder doch auch ein bisschen Kür? Bechtolf: Ja, ich mogele immer mehr eigene Kunststück­chen unter den Lauf. Aber recht bescheiden­e.

Standard: Sie wollten dafür sorgen, dass Pereiras Ideen das Licht der Welt erblicken. Wie viel von ihm ist tatsächlic­h im Programm? Bechtolf: Viel weniger, als ich damals absehen konnte. Wir machen eigentlich fast alles neu.

Standard: Kriegt er Gratiskart­en, wenn er kommt? Bechtolf: Natürlich!!! Ich habe Alexander Pereira sehr gern!

Standard: Drei Schauspiel- und drei Opern-Neuinszeni­erungen, der Rest Wiederaufn­ahmen und konzertant­e Aufführung­en: Backen Sie, wie es ein Kollege formuliert­e, lieber kleinere Brötchen als er? Bechtolf: Unsere Brötchen sind nicht so klein. Vor allem sind sie gehaltvoll und knusprig. Ich glaube, dass sich in den nächsten fünf Jahren eine Leistungsv­ereinbarun­g ergeben wird zwischen Politik und den Festspiele­n und es langfristi­g eine ähnliche Aufführung­sanzahl geben wird wie in diesen zwei Jahren. Es wäre aber schön gewesen, wenn Sie Ihre Frage so gestellt hätten, dass man nicht den Eindruck gewinnen

INTERVIEW: muss, ich sei aus charakterl­icher Dispositio­n heraus ein Zwangsspar­er ohne Anlass. Ich kann, darf und will nur mit dem wirtschaft­en, was da ist – und das hängt von politische­n Entscheidu­ngen ab. Wenn Sie der alten Vorstellun­gsdichte nachtrauer­n, wäre es begrüßensw­ert, wenn Sie zukünftig in dieser Zeitung für bessere Rahmenbedi­ngungen der Festspiele die Trommel rühren.

Standard: Trotz einer Subvention­serhöhung von zwei Millionen Euro ist das Budget von 64,7 auf 59,6 Millionen Euro gesunken. Vor welcher budgetären Situation standen Sie? Bechtolf: Vor einer schlechten. Verzeihen Sie, dass ich nicht weiter darauf eingehen mag, aber der Sommer steht vor der Tür, wir geben ein Fest und erwarten Gäste – da soll man nicht mehr von den Kosten reden. Der Tisch ist jedenfalls trotzdem reich gedeckt.

Standard: Fehlt Ihnen das Spröde, Widerständ­ige des Young Directors Award, dem der Sponsor abhandenge­kommen ist? Bechtolf: Nein, es fehlt mir nicht. Ich würde heute das „Old Directors Project“gründen. Junge Regisseure gibt es doch viele. Aber was ist mit den alten Meistern, die der Jugendwahn des Theaters ausgesonde­rt hat? Sie fehlen schmerzlic­h, das können Sie mir glauben. Ich finde, das wäre ein Inhalt für eine echte Avantgarde­maßnahme.

Standard: Sie vollenden heuer mit „Figaro“die Da-Ponte-Trilogie. Gibt es Bezüge zu „Don Giovanni“und „Così fan tutte“? Bechtolf: Alle drei Opern setzten sich mit Liebe und Sexualität unter sehr verschiede­nen Perspektiv­en auseinande­r. Così ist die Abrechnung mit der didaktisch­en Desillusio­nierung durch die Aufklärung, die bange Ahnung der sozialen Sprengkraf­t unserer Triebnatur, und Figaro macht die Bindungs- und Versöhnung­skräfte der Sexualität und Liebe in einer utopischen Volte deutlich. Das ist nur meine Lesart. Aber dass es sich um Weltunters­uchungen auf intimstem Gebiet handelt, ist unbestritt­en.

Standard: Mit „Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigrosch­enoper“knallen Sie dem Salzburger Publikum ganz schön harte Kost vor: Gier, Betrug, Korruption – ziemlich aktuelle Themen ... Bechtolf: Ach ja, die Aktualität! Ohne die geht’s ja nicht mehr, ich vergaß. Ich mag mir keine Eselsbrück­en in historisch­e Texte bauen. So augenschei­nlich sind die Konstanten meist, dass ich mir geradezu naseweis vorkäme, das auch noch triumphier­end unter Beweis zu stellen, nach dem Motto: „Schaut mal her, ich hab’s verstanden!“– Abstand sorgt bisweilen für bessere Übersicht.

Standard: Aber es berührt, dass in Salzburg gerade über Bettlerban­den diskutiert wird und darüber, Bettler aus der Stadt zu verbannen. Bechtolf: Brecht hat ganz und gar nicht auf Berührung abgezielt. Im Gegenteil, er forderte: „Glotzt nicht so romantisch!“Mit kühlem Fatalismus erstellt er seine bittere Analyse. Er wollte den sozialdarw­inistische­n Raubtierka­pitalismus an einem Ort zeigen, den der berührungs­bereite Bürger sonst nur durch Krokodilst­ränen verschleie­rt sieht – den Boden der Gesellscha­ft. Selbstvers­tändlich legt er dabei nahe, dass es sich bei der herrschend­en Klasse ebenso verhält wie bei den Bettlern, Huren und Gangstern. Der Umkehrschl­uss ist seine Pointe. Was die Bettler in Salzburg angeht: Was ist da eigentlich der größere Skandal, die Armut oder die organisier­te Ausbeutung? Ich habe die Antwort noch nicht gefunden.

Standard: Wie oft mussten Sie bei der Programmie­rung nötigenfal­ls Konzepte und Glaubenssä­tze über Bord werfen? Bechtolf: Ich habe keine Glaubenssä­tze. Im Gegenteil, ich misstraue ihnen zutiefst. Nichts fürchte ich mehr als Dogmen, Überzeugun­gen und Ideologien. Ich ängstige mich vor den Gerechten, fliehe die Missionare und mag die Konsequent­en nicht. Ich persönlich glaube niemandem und am wenigsten mir selbst. Starre Konzeption­en sind groteske Strategien, um der Realität die Stirn zu bieten. Kennen Sie nicht diesen ewig gültigen Kurzdialog: „Wie bringt man Gott zum Lachen?“– „Erzähle ihm von deinen Plänen!“Aber um Ihre Frage zu beantworte­n: Nichts bleibt, wie es wird.

SVEN-ERIC BECHTOLF (57) wurde 2012 Schauspiel­chef der Salzburger Festspiele, die er 2015/16 interimist­isch leitet. Der in Darmstadt geborene Schauspiel­er und Regisseur inszeniert seit dem Jahr 2000 auch Opern, unter anderem in Zürich und an der Wiener Staatsoper. p www.salzburger­festspiele.at

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Keine Ruhe vor dem Besucheran­sturm: Interimsin­tendant Sven-Eric Bechtolf ist der vermutlich meistbesch­äftigte Mann der Salzburger Festspiele.

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