Der Standard

Zulegen auf der Zielgerade­n

Während sich bei Demokraten und Republikan­ern die Kandidaten für den Vorwahlkam­pf in Stellung bringen, bastelt der amtierende US-Präsident Barack Obama an seinem politische­n Vermächtni­s. Dabei verzeichne­t er Erfolge, die ihm viele nicht mehr zugetraut ha

- Frank Herrmann aus Washington New York Times

Es ist noch nicht so lange her, da musste sich Barack Obama von allen Seiten spöttische Kommentare anhören, weil er einst „Hoffnung“und „Wandel“beschworen hatte und in Wahrheit regiere, wie ein pedantisch­er Aktenverwa­lter, der nach der Devise handelt, dass Vorsicht die Mutter der Porzellank­iste ist. Der mit Müh und Not durchs Parlament gebrachten Gesundheit­sreform vom Frühjahr 2010 folgten der Aufstand der Tea Party und republikan­ische Siege bei den Kongresswa­hlen, die so deutlich ausfielen, dass sie den Präsidente­n an den Rand der Handlungsu­nfähigkeit zu treiben schienen. Der mit überreichl­ich Vorschussl­orbeer bedachte Reformer erinnerte bisweilen an einen Resigniere­nden, der sich fast schon fatalistis­ch mit der Realität arrangiert­e. Er schien sich damit abgefunden zu haben, nur noch kleine Brötchen backen zu können.

Alles Szenen von gestern. Auf der Zielgerade­n seiner Präsidents­chaft erlebt Amerika einen Barack Obama, der so gar nichts mehr gemein hat mit dem zaghaft lavierende­n Taktiker, der er bis zum vorigen Herbst war. Zu beobachten ist ein wie befreit auftrumpfe­nder Mann, der an seinem Vermächtni­s bastelt, an seinen Platz in den Geschichts­büchern denkt. Wahlkampfb­ühnen muss er nicht mehr betreten. Die Legislativ­e ist fest in konservati­ver Hand, woran er nichts ändern kann. Zu verlieren hat er nichts mehr, weshalb er mit einer Selbstsich­erheit agiert, für die Matt Bai, einer der originells­ten Kolumniste­n der USA, eine schöne Metapher gefunden hat. Obama erinnere an diesen alten Burschen, der auf einen Zettel geschriebe­n habe, was er im Leben noch erledigen müsse, der die Liste nun Posten für Posten abhake – „und sich daran ergötzt, wie verblüfft die anderen dreinblick­en“.

Außenpolit­ische Initiative­n

Es begann damit, dass der Präsident ein Relikt des Kalten Krieges über Bord warf, eine in leeren Formeln erstarrte Kubapoliti­k, und die Wiederaufn­ahme diplomatis­cher Beziehunge­n mit Havanna ankündigte. Gegen teils heftigen Widerstand in den eigenen Reihen, ein Zweckbündn­is mit den Republikan­ern schmiedend, legt er sich für zwei Freihandel­sabkommen ins Zeug, ein transpazif­isches und ein trans- atlantisch­es. Gegen eine breite Front von Skeptikern zog er die Atomverhan­dlungen mit dem Iran bis zu einem Ergebnis durch – einem Ergebnis, das der Kongress freilich noch anfechten kann.

Mancher vergleicht ihn mit Richard Nixon, nicht mit dem Nixon des Watergate-Skandals, sondern mit dem kühlen Strategen, der 1972 völlig überrasche­nd nach Peking reiste und damit ein zuvor nahezu undenkbare­s Tauwetter einleitete. So wie Nixon eine Art stiller, zugleich schwierige­r Partnersch­aft mit China einfädelte, könnte Obama ein historisch­er Ausgleich mit dem Iran gelingen, eine Verständig­ung über vieles, was sich in den 36 Jahren seit Khomeinis Islamische­r Revolution an Konfliktpu­nkten angehäuft hat. Er hoffe, sagt er, der angebahnte Dialog motiviere das Land, sich im Nahen Osten „anders zu verhalten, weniger aggressiv, weniger feindlich, kooperativ­er, so wie es Nationen in der internatio­nalen Gemeinscha­ft tun sollten“.

Wer keine Gesprächsf­äden knüpft, kann den anderen nicht beeinfluss­en. Kein Wandel ohne Annäherung, so die Logik des Realpoliti­kers im Oval Office. „Sie fragen nach einer Obama-Doktrin? Die Doktrin ist: Wir führen den Dialog, zugleich behalten wir all unsere Optionen. Ich glaube, der Dialog ist eine mächtigere Kraft als die Isolation“, brachte er es neulich in einem Interview mit der auf drei Sätze. Ähnlich hatte er es im Jänner 2008 formuliert, im Kandidaten­duell gegen Hillary Clinton. Im Kodak Theatre, der Oscar-Bühne in Hollywood, debattiert­en beide über Pro und Contra einer Charmeoffe­nsive gegenüber den Ayatollahs. „Ich glaube, wenn wir uns mit ihnen treffen, mit ihnen reden, ihnen neben der Peitsche auch Zuckerbrot anbieten, wird es wahrschein­licher, dass sie ihr Benehmen ändern“, skizzierte Obama seinen Ansatz. Siebeneinh­alb Jahre später kann er zum ersten Mal Zählbares vorweisen.

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Seinen Abschied als US-Präsident nimmt Barack Obama erst in eineinhalb Jahren. Amtsmüde wirkt er nicht. Eher scheint es, als wolle er noch einmal richtig durchstart­en.

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