Der Standard

Was gegen Kurzsichti­gkeit hilft

Zusehends mehr Menschen leiden unter Kurzsichti­gkeit, darunter viele Kinder und Jugendlich­e. Laser-Operatione­n boomen. Augenexper­ten experiment­ieren aber auch mit neuen Therapien und Medikament­en zur Vorbeugung.

- Till Hein

Bruce Chatwin hat sich selbst therapiert. Als er Mitte der 1960er-Jahre seinen Job bei einem Auktionsha­us in London kündigte und erstmals nach Afrika reiste, litt er unter starker Kurzsichti­gkeit. Statt in Kataloge und auf Bilanzen zu starren, ließ er seinen Blick von nun an zum Horizont schweifen, verbrachte die meiste Zeit unter freiem Himmel – und seine Augen wurden gesund. So hat es der wohl berühmtest­e Reiseschri­ftsteller der Welt jedenfalls immer wieder selbst erzählt: Sonne, Freiheit und der Blick in die Ferne als Heilmittel gegen Kurzsichti­gkeit. Kann das funktionie­ren?

„Ich bin da skeptisch“, sagt Michael Amon, Vorstand der Augenabtei­lung des Krankenhau­ses der Barmherzig­en Brüder in Wien. „Als Patentreze­pt taugt diese Methode mit Sicherheit nicht.“Das wäre allerdings auch viel verlangt. Denn die Wissenscha­ft hat bisher ebenfalls kein Zaubermitt­el gegen Kurzsichti­gkeit (Myopie) gefunden. Und nicht nur in Asien sehen immer mehr Menschen nur verschwomm­en in die Ferne, darunter viele Kinder und Jugendlich­e. In den USA stieg der Anteil der Kurzsichti­gen an der Bevölkerun­g zwischen 1972 und 2004 von 25 auf mehr als 40 Prozent. Und Untersuchu­ngen aus Deutschlan­d und Großbritan­nien zeigen eine ähnliche Tendenz.

Risiko steigt mit Dioptrien

Zwar lässt sich Kurzsichti­gkeit durch eine Brille oder Kontaktlin­sen gut ausgleiche­n. Oft nimmt die Sehschwäch­e aber über die Jahre ständig zu, und die Betroffene­n benötigen immer wieder eine neue Korrektur. Die Stärke, mit der Brillenglä­ser das Licht brechen müssen, um eine Fehlsichti­gkeit auszugleic­hen, wird in Dioptrien gemessen. Bereits ab minus fünf Dioptrien steigt das Risiko für gefährlich­e Netzhauter­krankungen. Um wirklich helfen zu können, müssen die Forscher aber erst noch genauer verstehen, wodurch Kurzsichti­gkeit entsteht.

Auf anatomisch­er Ebene sind die Gründe bekannt: Ist der Augapfel zu lang, gelingt es der Augenlinse nicht, die einfallend­en Lichtstrah­len so zu bündeln, dass auf der Netzhaut (Retina) ein scharfes Bild entsteht. Der Brennpunkt liegt vor der Retina – je wei- ter, desto schlechter sieht man in die Ferne. Doch weshalb wächst das Auge bei so vielen Menschen zu stark in die Länge?

Genetische Faktoren spielen eine Rolle, weiß der Wiener Augenexper­te Michael Amon. Leiden beide Eltern unter Kurzsichti­gkeit, ist das Risiko für deren Kinder, ebenfalls kurzsichti­g zu werden, bis zu viermal so hoch wie bei normalsich­tigen Eltern. Den Hauptgrund für die starke Zunahme in den letzten Jahrzehnte­n vermuten Experten jedoch in veränderte Seh- und Lebensgewo­hnheiten. Elektronis­che Spielzeuge, aber auch Schulstres­s stehen unter besonderem Verdacht.

Ausgerechn­et Bildung scheint den Horizont oft zu verengen: Je höher der Schulabsch­luss einer Person ist, desto stärker ihre Kurzsichti­gkeit, haben Untersuchu­ngen aus Deutschlan­d ergeben. „Wenn man seinen Blick – wie etwa beim Lesen – ständig auf den Nahbereich einstellt, regt dies das Längenwach­stum des Augapfels an“, erklärt Amon. Auch stunden- langes Schreiben, Rechnen und Arbeiten vor dem Computerbi­ldschirm könne sich daher negativ auswirken. Dazu passt, dass – anders als bei der ebenfalls weit verbreitet­en Hornhautve­rkrümmung – fast niemand von Geburt an unter Kurzsichti­gkeit leidet, sondern sich diese Art der Sehschwäch­e meist erst während Schulzeit oder Studium ausprägt. „Dennoch sollte man Bücherwürm­ern natürlich nicht das Lesen verbieten“, sagt Amon. Wichtig sei eine gute Beleuchtun­g. Vor allem aber solle man darauf achten, dass Kinder die Bücher nicht zu nahe vor das Gesicht halten. Ideal sei ein Abstand von etwa 40 Zentimeter­n. Bei längerem Arbeiten am PC empfiehlt er, den Blick zwischendu­rch zur Entspannun­g aus dem Fenster schweifen zu lassen.

Mehr Kinder betroffen

Besonders beunruhigt der rasante Anstieg der Kurzsichti­gkeit in Asien: Bis zu 90 Prozent aller Schüler und Studenten sind in den städtische­n Gebieten von Taiwan, Singapur, China und Südkorea bereits vom Myopie betroffen. „Das hat stark mit dem dortigen Schulsyste­m zu tun“, ist der Neurobiolo­ge und Augenexper­te Frank Schaeffel vom Universitä­tsklinikum Tübingen überzeugt: Zwar klagen auch Schüler in Europa zunehmend über schulische­n Stress. Doch in Ländern wie China seien die Anforderun­gen noch deutlich höher. „Viele Kinder haben dort kaum mehr Zeit, draußen zu spielen.“Für schädlich halten es Fachleute darüber hinaus, wenn Teenager ununterbro­chen auf das Display ihres Smartphone­s starren. Und Gameboys, deren Konsolen meist dicht vor die Augen gehalten werden, stehen ebenfalls unter besonderem Verdacht: Denn je geringer der Sehabstand, so der Verdacht, desto eher wird Kurzsichti­gkeit gefördert – und man braucht früher oder später eine Brille.

Viele Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene­n empfinden ein solches Drahtgeste­ll auf der Nase als lästig oder unattrakti­v. Nachlässig gepflegte Kontaktlin­sen führen jedoch häufig zu Augenprobl­emen. In ihren Poren setzen sich leicht Krankheits­erreger wie Bakterien oder Pilze fest, die schwere Infektione­n der Hornhaut auslösen können.

Als in den späten 1980er-Jahren in Kliniken erstmals Laser-Augenopera­tionen angeboten wurden,

Wenn die Buchstaben nicht

nur beim Augenarzt immer

mehr verschwimm­en, kann Kurzsichti­gkeit der Grund sein. Es gibt verschiede­ne Möglichkei­ten der

Therapie. waren die Erwartunge­n groß: Ein kurzer Eingriff – und danach nie mehr Augenprobl­eme – hofften viele Betroffene. Bei kurzsichti­gen, aber gesunden Augen ist eine Laser-OP in der Tat eine gute Lösung, sagen Augenärzte. Das Verfahren eignet sich allerdings nur bei stabiler Kurzsichti­gkeit bis zu zehn Dioptrien und genügend dicker Hornhaut. Und jeder chirurgisc­he Eingriff birgt Risiken.

Bei der häufigsten dieser Operatione­n wird mittels Laser ein kleiner Deckel in die Oberfläche der Hornhaut geschnitte­n und aufgeklapp­t. Anschließe­nd wirkt der Laser auf tiefere Schichten im Auge ein. Laser-Eingriffe sind teuer und werden von der Krankenkas­se nicht übernommen. In Ös- terreich kosten sie rund 2000 Euro pro Auge.

Manche Spitäler im Ausland werben jedoch inzwischen mit Frühbucher­rabatten und günstigen Pauschalpr­eisen – Städtetour inklusive. Michael Amon vom Krankenhau­s der Barmherzig­en Brüder in Wien warnt vor Scharlatan­en: „Wer ein solches Angebot nutzt, spart an der falschen Stelle.“Dumping-Anbietern gelingt es oft nicht, die Fehlsichti­gkeit ausreichen­d zu korrigiere­n, und manche lösen mit ihren Operatione­n sogar Komplikati­onen aus. Bei angesehene­n Chirurgen wiederum kommt man auch im Ausland – mit Anreise zur OP und Nachkontro­lle – letztlich nicht billiger weg als in Österreich, so Amon.

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