Der Standard

Stimmungsv­olles Kraut des Johannes

Studien belegen Wirkung bei leichten Depression­en und Wechselwir­kung mit „Pille“

- Felicitas Witte

Wien – Die Griechen in der Antike sollen Johanniskr­aut über Bilder von Göttern gehängt haben, um Dämonen fernzuhalt­en. Das gab der Pflanze ihren lateinisch­en Namen Hypericum perforatum: Hyper für Griechisch „über“und eikon für „Bild“. Der Zusatz perforatum stammt von den kleinen Öldrüsen auf den grünen Blättern, die wie kleine Löcher, Perforatio­nen, aussehen. „Das Kraut braucht viel Sonne, bis es im Frühsommer geerntet werden kann“, erzählt Markus Lampert, Klinischer Pharmazeut und Dozent an der Uni Basel. „Typischerw­eise um den Johannista­g, den 24. Juni herum. Daher der deutsche Name.“Nach der Ernte werden die Pflanzen getrocknet, geschnitte­n und die Wirkstoffe mit einem Wasser-Alkohol-Gemisch extrahiert. Das Extrakt wird eingedampf­t und das trockene Pulver zu Tabletten oder Kapseln verarbeite­t. Gemäß der österreich­ischen Apothekerk­ammer gibt es 15 Arzneimitt­el mit dem Wirkstoff Johanniskr­aut, dazu noch etliche Nahrungser­gänzungsmi­ttel.

Mehr als 150 Inhaltssto­ffe wurden bisher identifizi­ert. Am wich- tigsten für die Wirkungen sind Hypericine und Hyperforin­e. Am meisten untersucht ist das Kraut bei leichten bis mittelschw­eren Depression­en. „Ich setze es deshalb auch nur hier ein“, sagt Claudia Witt, Leiterin des Instituts für komplement­äre und integrativ­e Medizin an der Uniklinik Zürich. Gemäß einer Metaanalys­e aus 29 Einzelstud­ien mit 5500 Teilnehmer­n wirkt Johanniskr­aut genauso gut wie Standard-Antidepres­siva, hauptsächl­ich durch die Hypericine. Die lassen den Botenstoff Serotonin im Gehirn steigen, was die Stimmung aufhellt. Lampert warnt jedoch vor leichtfert­iger Einnahme. „Nur weil es ein pflanzlich­es Präparat ist, heißt das noch lange nicht, dass es ungefährli­ch ist. Die Gleichung ‚Natur sei gleich harmlos‘ stimmt in vielen Fällen nicht.“Nebenwirku­ngen wie Magen-Darm-Probleme und eine erhöhte Sonnenempf­indlichkei­t treten zwar selten auf, können aber unangenehm sein. Wie bei der 25jährigen Schweizeri­n mit einer depressive­n Krise. „Sie hatte riesige Angst vor ‚gefährlich­en Psychophar­maka‘, weshalb ich ihr Johanniskr­aut empfahl“, erinnert sich Stefan Büchi, Ärztlicher Di- Antidepres­sivum Johanniskr­aut

3. Teil rektor der Psychiatri­schen Klinik Hohenegg bei Zürich. Nach der ersten Sonnenexpo­sition bekam sie einen Sonnenbran­d auf Gesicht und Armen, sodass er das Medikament absetzte. „Leider war die Frau dann nicht mehr bereit, ein ‚klassische­s‘ Antidepres­sivum auszuprobi­eren und litt sehr unter ihrer Depression.“

Anders verhüten

Problemati­sch sind zudem Wechselwir­kungen mit einer Vielzahl anderer Medikament­e. Johanniskr­aut erhöht die Aktivität des Enzyms CYP34A in der Leber. Dadurch werden etwa Blutverdün­ner wie Marcumar oder die „Pille“schneller abgebaut und wirken schwächer.

Bei Marcumar ist das mitunter lebensbedr­ohlich, weil das Blut schneller gerinnt und einen Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll auslösen kann. Die Arzneipfla­nze kann die Wirkung mancher Medikament­e aber auch verstärken, etwa von klassische­n Antidepres­siva. „Deshalb dürfen die beiden nicht zusammen verabreich­t werden“, sagt Büchi. „Andernfall­s kann es zum Serotonin-Syndrom kommen. Das heißt: Unruhe, Schwitzen, Halluzinat­ionen, Übelkeit oder Krämpfe.“

Viele Patienten seien sich der Wechselwir­kungen nicht be- Mehr als 150 Inhaltssto­ffe wurden im Johanniskr­aut

gefunden. Wichtig sind Hypericine, etwa bei der Behandlung von

leichten und mittelschw­eren Depression­en. wusst, sagt Witt. „Erzähle ich jungen Patientinn­en, dass sie mit Johanniskr­aut anders verhüten müssen, sind viele überrascht.“In Studien wirkte Johanniskr­aut noch bei anderen Krankheite­n, etwa Angststöru­ngen, psychosoma­tischen Beschwerde­n, Herpes oder Wechselbes­chwerden.

„Die Ergebnisse sind aber lange nicht so abgesicher­t wie bei der Depression“, sagt Witt. „Ich rate eher nicht dazu.“Plinius der Ältere soll Johanniskr­aut auch gegen Verbrennun­gen, Neurodermi­tis oder anderen Hauterkran­kungen eingesetzt haben. „Langer Einsatz, wenig Evidenz“, sagt Werner Aberer, Direktor der dermatolog­ischen Uniklinik in Graz. „Das heißt: Es gibt kaum Studien, die eine Wirksamkei­t belegen. Ich würde die Finger davon lassen, bis es sie gibt.“

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