Der Standard

Im Ländle ist er Spitze

Der Piz Buin ist der höchste Berg Vorarlberg­s und Namensgebe­r einer bekannten Sonnencrem­e. Seit 150 Jahren wird er auch gerne bestiegen – aus gutem Grund.

- Eric Frey

Der Piz Buin hat das Glück, dass sich das Rätoromani­sche im Engadin erfolgreic­h gegen das Vordringen des Alemannisc­hen gewehrt hat. Denn „Ochsenspit­z“– das wäre der deutsche Name – hätte der Chemiker Franz Greiter seine berühmte Sonnencrem­e, die erste mit einem Lichtschut­zfaktor, sicher nicht genannt.

Das zweite Glück des Berges ist, dass eine seiner Seiten in Vorarlberg zum Liegen kommt. Denn für die Schweizer, die die andere Hälfte für sich beanspruch­en, ist ein Alpengipfe­l mit seinen 3312 Metern wirklich nichts Besonderes; selbst im Silvretta-Massiv gibt es größere. Und auch die Tiroler, denen der Grund und Boden am und auf dem Berg gehört – genau gesagt der Gemeinde Galtür im Paznauntal, die 1904 die Weidefläch­e den Schweizern abgekauft hat –, besitzen mehrere Gipfel in dieser Preis- und Höhenklass­e.

Aber in Vorarlberg ist der Berg mit dem wohlklinge­nden Namen einsame Spitze. Und so setzte bald nach der Erstbestei­gung am 14. Juli 1865 im jungen Ländle, das sich erst kurz davor von Tirol gelöst hatte, eine wahre Piz-BuinEuphor­ie ein. Die ersten auf dem Gipfel waren – oje – ein Wiener Kaufmann, ein Schweizer Alpinist und zwei Tiroler Bergführer. 1866 kam es dann zur wahren – sprich: Vorarlberg­er – Erstbestei­gung vom Montafon aus, und in den Jahren darauf wurde der Berg vielfach beschriebe­n, gemalt, besungen und bestiegen. Der „My- thos Piz Buin“, wie es der Schweizer Kulturhist­oriker Bernhard Tschofen nennt, war geboren. Die Gipfelteil­ung schmälert den Stolz im Ländle nicht: Schließlic­h teilt man sich ja auch den Bodensee.

Und so war es kein Wunder, dass am 150. Jahrestag der Erstbestei­gerung am vergangene­n Dienstag eine Hundertsch­aft Richtung Piz Buin zog und sich unterhalb des Gipfelkreu­zes drängte, darunter der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner, Blasmusike­r, Kamerateam­s, aber auch ganz normale Bürger, die einfach nur dabei sein wollten, wenn Mensch und Berg sich ans historisch­e erste Rendezvous erinnern. Ganz anders auf dem Matterhorn, das am gleichen Tag von einer englischen Seilschaft erstbestie­gen wurde: Die Schweizer sperrten den Berg fürs Jubiläum, aus Pietät für die vielen Toten und wohl auch zur Vermeidung von zu viel Stau. Der Piz Buin, weltberühm­t in Vorarlberg, hielt den Rummel hingegen aus.

Mittelschw­ere Gletschert­our

An sonstigen Tagen ist auf dem Berg weniger los, doch ganz still ist es in der Hochsaison nur selten. Denn der Piz Buin ist ein beliebtes Ziel für Hobbybergs­teiger, die eine mittelschw­ere Gletscheru­nd Klettertou­r erleben wollen. Der Aufstieg beginnt meist am Nachmittag: Mit Auto oder Bus kommt man über die SilvrettaH­ochalpenst­raße zur Bieler Höhe auf 2030 Meter Seehöhe, von dort geht es in knapp zwei Stunden zuerst entlang des Silvretta-Stausees und dann auf einem breiten Gehweg zur Heidelberg­er Hütte auf 2443 Meter, wo man in ziemlichem Komfort übernachte­n kann. Vom Tal her ist der Piz Buin nicht zu sehen, aber über die Hütte thront er mit seinem markanten runden Gipfel.

Der Blick hinauf ist nicht ungetrübt: Zu sichtbar sind die Schäden durch die Gletschers­chmelze. Und die bekommen auch die Berg- steiger zu spüren. Von Jahr zu Jahr schrumpfen die Schneefeld­er und geben Geröllhald­en frei, die sie am nächsten Morgen erst mühsam überqueren müssen, bevor sie über die sogenannte Grüne Kuppe den Ochsentale­r Gletscher erreichen. Nun geht es, ausgerüste­t mit Steigeisen und Seil, erst steil, dann sanft aufwärts zur Buinlücke auf rund 3050 Meter Seehöhe, die den Großen vom – kaum bestiegene­n – Kleinen Piz Buin trennt. Im Winter und Frühjahr ist der Hang perfekt für Skitouren. Im Sommer hingegen verwandelt sich immer mehr Schneefläc­he in Blankeis und macht den Aufstieg ohne profession­elle Führung zum Wagnis.

Kurze Kletterste­llen

Der letzte Anstieg auf den felsigen Gipfel dauert noch etwa eine Stunde und führt über Blockwerk und kurze Kletterste­llen auf ein kleines Plateau, an dessen höchstem Punkt das Gipfelkreu­z steht.

Der Blick von oben ist grandios. Der Piz Buin steht mitten auf dem Hauptkamm, kein anderer Berg verstellt die Sicht in Richtung Engadin, Südtirol, ins Montafon oder zum Arlberg: schneebede­ckte Berge, grüne Almen (in dieser Region Alpen genannt) und bis auf den Stausee und die Hütte weit unten im Tal kein Zeichen menschlich­er Zivilisati­on.

Bis zu acht Stunden dauern Aufund Abstieg von der Wiesbadene­r Hütte aus. Wer dies nicht auf sich nehmen will, belässt es mit einer gemütliche­n Hüttenwand­erung oder einer Umrundung des Stausees. Man muss den Piz Buin nicht besteigen, um ihn zu genießen. Der Blick allein lässt Vorarlberg­er Herzen höher hupfen. Diese Reise erfolgte auf Einladung von Montafon Tourismus.

Buchtipps: Michael Kasper (Hrsg.) „Mythos Piz Buin. Kulturgesc­hichte eines Berges“. Haymon-Verlag, 328 Seiten, 24,90 Euro. Bernhard Tschofen (Hrsg.) „[3312] Piz Buin. Literarisc­he Erkundunge­n 1865–2015“. Bertolini-Verlag, 320 Seiten, 22 Euro

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Die Grüne Kuppe ist ein Zwischenst­opp auf dem Weg zum 3312 Meter hohen Gipfel des Piz Buin.

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