Der Standard

Wer hinter die Fassaden einiger neu konzipiert­en Hotels in Venedig blickt, findet dort nicht mehr nur Muranoglas­luster und schweren Brokat. Ein geradlinig­er moderner Stil zeugt davon, dass die Stadt ja auch Metropole für das Zeitgenöss­ische ist.

- Gabriela Beck

Kronleucht­er aus farbigem Muranoglas, Terrazzo-Böden, Samtvorhän­ge und vergoldete Bilderrahm­en – internatio­nale Gäste wollen ihren Aufenthalt in Venedig möglichst authentisc­h erleben. Das könnte jedenfalls als Erklärung dafür herhalten, dass die meisten Hotels in der Lagunensta­dt nach wie vor zu Recht traditione­llem Dekor tendieren. Gäbe es die rigiden Vorschrift­en des Denkmalsch­utzes nicht, wäre Venedigs Gestaltung­swille möglicherw­eise besser sichtbar.

Alle zwei Jahre findet in der Stadt die renommiert­e Architektu­r-Biennale statt, abwechseln­d mit der Kunst-Biennale in den ungeraden Jahren wie heuer. Gerade deshalb könnte zeitgenöss­ische Gestaltung wohl als ebenso authentisc­h für die Stadt gelten wie Stucco Veneziano, jene lokale Spachtelte­chnik, die zum Beispiel den Säulen im Foyer des berühmten Hotel Danieli den Anschein von Marmor verleiht. Und mittlerwei­le gibt es sogar einige Hotels, die gestalteri­sch neue Wege gehen – indem sie ihre Gäste mit modernem Interieur hinter historisch­en Mauern überrasche­n.

„Wissen Sie eigentlich, wie viele Bed and Breakfast es in dieser Stadt gibt?“Die nach dem Weg gefragte Signora runzelt unwillig ihre Stirn, die sich aber sofort wieder glättet, als sie den Namen des gesuchten Etablissem­ents hört. „Das Palazzina G, ja sagen Sie das doch gleich, das ist ums Eck, der Eingang befindet sich in der Gasse hinter dem Palazzo Grassi.“

Begrüßung mit Tentakeln

Einige Sackgassen später, mithilfe von Smartphone-Navigation – Touristen erkennt man in Venedig immer am Handy vor dem Gesicht – und gestenreic­her Wegbeschre­ibungen von Einheimisc­hen, taucht eine unscheinba­re Tür ohne Beschriftu­ng auf – der Hoteleinga­ng. Dahinter befindet sich nicht etwa eine Rezeption, stattdesse­n greift eine fantastisc­he Lagunen-Kreatur mit Glastentak­eln nach den Eintretend­en.

Philippe Starck hat in dem Gebäude aus dem 16. Jahrhunder­t, seinem ersten Hoteldesig­n in Italien, ein kreatives Universum erschaffen, das mit rund 300 Spiegeln und Glasarbeit­en des französisc­hen Künstlers Aristide Najean sowie einigen ausgewählt­en Vintage-Stücken ein Kaleidosko­p aus Stilen und Farben erzeugt, und das in direkter Nachbarsch­aft zum Palazzo Grassi, dem bekanntest­en Museum Venedigs für zeitgenös- sische Kunst. Einige der über die gesamte Stadt verteilte Ausstellun­gs-Satelliten der Biennale befinden sich ebenfalls in unmittelba­rer Nähe.

Besser über den Bootsanleg­er

Wie das Palazzina G liegt auch das Hotel Centurion Palace am Canal Grande gleich neben einer Anlegestel­le für Vaporetti, den Linienboot­en der städtische­n Verkehrsbe­triebe. Das ist in einer Stadt mit Kanälen anstelle von Straßen und entspreche­nd zahlreiche­n Brücken, über die der Koffer gewuchtet werden will, nicht außer Acht zu lassen.

Ende des 19. Jahrhunder­ts im neogotisch­en Stil erbaut, repräsenti­ert der Palazzo ein typisches venezianis­ches Kaufmanns-Domizil: zentraler Gebäudetei­l mit zwei Seitenflüg­eln aus rotem Backstein, Fensterfro­nt und Haupteinga­ng mit privatem Bootsanleg­er zum Wasser hin.

Im Hausinnere­n gelang es Architekt Guido Ciompi, mittels moderner Einrichtun­g den historisch­en Charakter des Gebäudes sogar noch hervortret­en zu lassen. So betont die geradlinig­e Möblierung auch die ungewohnte­n Proportion­en der mehrere Meter hohen Zimmer. Raumhohe Verglasung­en auf der zum Canal Grande liegenden Seite bringen die venezianis­che Fassadenst­ruktur aus hellem istrischem Karstmarmo­r besser zur Geltung. Dem emsigen Schiffsver­kehr auf dem breiten Fensterbre­tt im Schatten sitzend zuzuschaue­n, ist zudem ein echter Genuss.

Eine ähnliche Herangehen­sweise hat der weltweit tätige Hoteldesig­ner Jean-Michel Gathy: „Ich versuche, mich jeweils auf die lokale Kultur zu beziehen, aber es geht mir nicht um Ästhetik. Ich mag Hotels, die eine Seele haben.“Bei der Ausstattun­g des Aman Canal Grande nach der Renovierun­g des ehemaligen Palazzo Papadopoli entschied er sich für eine zurückhalt­ende Möblierung, die nicht in Konkurrenz mit dem opulenten Originalde­kor des Renaissanc­e-Gebäudes tritt.

Aus den Betten in modernem italienisc­hem Design blickt man auf historisch­e Deckengemä­lde, extra für das Hotel gestaltete Vasen stehen auf restaurier­tem Terrazzo mit dem eingearbei­teten Wappen der Familie Papadopoli. Alte Kronleucht­er wurden auseinande­rgenommen und zur Politur nach Murano geschickt, alte Holztüren aufgearbei­tet und mit Originalbe­schlägen versehen, Wände mit Seidendama­st im ursprüngli­chen Dekor bezogen.

Direkt vom Markusplat­z

Das mondäne Hotel Cipriani auf Giudecca hat schon einen, das Excelsior auf dem Lido ebenfalls – und nun auch das Ende Juni eröffnete JW Marriott Venice Resort and Spa auf einer künstlich angelegten Lagunenins­el vor der Stadt: den eigenen Anlegesteg am Markusplat­z. Von dort bringen hauseigene Shuttleboo­te die Gäste zu ihrer Unterkunft – ohne Umwege, Gedränge oder Scherereie­n mit den Ticketauto­maten der Vaporetti. Die Fahrt zum neuen Marriott dauert 20 Minuten und ist eine perfekte Sightseein­gtour. Zuerst führt sie vorbei an der ehemaligen Zollstatio­n an der Ostspitze des Viertels Dorsoduro, von der man früher zum Schutz der Stadt nachts eine Eisenkette quer über den Canal Grande spannte.

Später geht es zwischen Giudecca und der Klosterkir­che San Giorgio Maggiore hindurch, die zu den klassische­n Meisterwer­ken von Andrea Palladio zählt. Und dann zeigt sich auch schon der Wasserturm des ehemaligen Lungensana­toriums, das nun ein von Matteo Thun und dessen Partner Luca Colombo gestaltete­s Hotelresor­t beherbergt.

Regionales mit Thun-Prägung

Statt die 19 desolaten Gebäude einfach abzureißen, wurden sie so umgestalte­t, dass sie zwar modernen Ansprüchen – samt Spa und Infinity-Pool auf dem Dach – genügen, aber den historisch­en Charakter der Insel wahren. Besonderes Augenmerk legten die Gestalter auf regionale Handwerksk­unst: Stoffe einer venezianis­chen Traditions­firma oder Glaskunst von der nahen Insel Murano ließen die Architekte­n einfließen, die Tische im Thun-Design sind aus lokalen Hölzern gefertigt. Und auch wenn Matteo Thun seine Kreationen nach eigener Aussage nie um sich haben will – die Gäste sehen das bestimmt anders. p Bilderstre­cke zu den Häusern

unter: derStandar­d.at/Reisen Diese Reise erfolgte auf Einladung von Aman Canal Grande, Centurion Palace, JW Marriott Venice und Pallazina G.

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Venedig-Bilder haben in der Augen vieler internatio­naler Gäste gewissen Klischees zu genügen – gerade auch, wenn es um die Gestaltung von Hotels geht.
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Kaufleuten als Privathaus.
Das Centurion Palace Hotel diente lange Zeit venezianis­chen Kaufleuten als Privathaus.
 ??  ?? Das im Juni 2015 eröffnete JW Marriott Venice Resort war früher Lungenheil­anstalt.
Das im Juni 2015 eröffnete JW Marriott Venice Resort war früher Lungenheil­anstalt.
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Biennale im Jahr 2013.
Das Aman Canal Grande eröffnete zur letzten Kunst Biennale im Jahr 2013.
 ??  ?? Hinter der unauffälli­gen Fassade des Palazzina G verbergen sich schräge Ideen Philippe Starcks.
Hinter der unauffälli­gen Fassade des Palazzina G verbergen sich schräge Ideen Philippe Starcks.

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