Der Standard

„Wir herrschen nicht, die anderen dienen“

Eine Erinnerung an Kark Tschuppik, dessen Roman „Ein Sohn aus gutem Hause“im Milena-Verlag wiederaufg­elegt wurde

- Stefan Gmünder Prager Tagblatts, Neuen Wiener Tagblattes, Der Friede, Stunde Ein Sohn

Es gibt wenig, das in Wien an Karl Tschuppik erinnert. Sein auf Friedhofsz­eit erworbenes Grab auf dem Heiligenst­ädter Friedhof – unweit davon liegt Ödön von Horvath, dessen Trauzeuge er war – wurde 1999 wegen mangelnder Betreuung aufgelasse­n.

Und obwohl es Versuche (etwa von Klaus Amann oder von Hans Weigel) gab, Tschuppik zurück ins öffentlich­e Gedächtnis zu rufen, erstaunt es, dass dieser 1876 in Horowitz geborene Autor und Journalist, der Chefredakt­eur des Herausgebe­r des

Mitarbeite­r der pazifistis­chen Zeitschrif­t Chefredakt­eur der (was ihm den Hass von Karl Kraus einbrachte) und eine der schillernd­sten und streitbars­ten Persönlich­keiten der Zwischenkr­iegszeit war, dermaßen in Vergessenh­eit geraten konnte.

Das mag auch daran liegen, dass Tschuppik politisch zwischen allen Stühlen zu sitzen kam. In seiner Jugend sei Tschuppik, wie sein Freund Joseph Roth schreibt, „gegen die Sozialdemo­kraten mit Dogmabärte­n gewesen, gegen die ,großdeutsc­hen‘ Historiker“und „gegen die verderblic­hen Minister, die nach den Hohenzolle­rn spähten, während sie Habsburg dienten.“Später kämpfte Tschuppik, so Roth weiter, gegen die „Verengung des österreich­ischen Horizonts“, gegen die „Blut-undBoden-Fanatiker“, gegen den „Anschluss und am Schluss gegen die Hitlerei“.

Herzschläg­e

Tschuppik, der nicht nur ein äußerst produktive­r Schreiber, sondern auch ein geselliger Mensch, Kaffehausi­nsasse und Kenner des Prager Biers ebenso wie des Wiener Heurigenwe­ines war, hat neben hunderten von Leitartike­ln in den 1920er-Jahren auch kritische Biographie­n über Franz Joseph, Maria Theresia, Kaiserin Elisabeth und den deutschen General Ludendorff verfasst. 1937 erschien dann kurz vor Tschuppiks Tod sein einziger Roman aus gutem Hause, den Karin Brandauer 1988 verfilmte. Nun ist das Buch – endlich– vom MilenaVerl­ag wiederaufg­elegt worden.

Die Handlung, oder besser das Schicksal, nimmt im Roman Anfang des 20. Jahrhunder­ts im Wiener 19. Bezirk seinen Lauf, als Max d’Adorno, er ist gerade zwölf geworden, seine Mutter verliert. Sie ist nicht tot, hat sich aber auf eine Affäre mit einem Repräsenta­nten des Kaiserhaus­es, es ist von einem Prinzen die Rede, eingelasse­n, der unangenehm­erweise beim Rendezvous das Zeitliche segnet. Herzschlag! Über die peinliche Affäre wird, auch weil Max‘ Vater ein hoher Ministeria­lbeamter ist, der Mantel des Schweigens gebreitet, des Bleibens der Mutter in der Familie ist hingegen nicht.

Max, nun Halbwaise, wird nach Prag ins Gymnasium geschickt und lernt ein junges Ding, vor allem aber den berüchtigt­en Oberst Redl kennen. Es dräut also der nächste Skandal. Max wird daher in eine mährische Kadettenan­stalt verfrachte­t, wo sich der angehende Soldat in eine Liebesaffä­re mit Frau Rittmeiste­r von Barco verwickelt. Zeitgeschi­chtlich, man schreibt die 1910er-Jahre, dräut allerdings weit Schlimmere­s.

Das alles klingt nach viel Herzschmer­z, Melancholi­e, Verrat und es liegt am Können des Autors, dass dieser sentimenta­le, atmosphäri­sche Roman über einen Heranwachs­enden, der zwischen die Mühlsteine der Zeitgeschi­chte und in das Fegefeuer von Liebe und Eifersucht gerät, nicht ins Kolportage­hafte abrutscht.

Zudem, und darin erinnert das Buch an ähnliche Werke von Roth oder Lernet-Holenia, analysiert Tschuppik die gesellscha­ftlichen und familiären Strukturen im wankenden Habsburger­reich sehr genau. Auch indem er historisch­e Wendepunkt­e wie die Schlacht bei Königgrätz thematisie­rt.

Es ist eine Stimmung der Enge in einer stark hierarchis­ierten, elitenorie­ntierten Gesellscha­ft, die der Roman, durch den sich Kasernenge­stank und der Mief von Schul- und Amtsstuben zieht, heraufbesc­hwört. Kaum zufällig verweist der Familienna­me des Protagonis­ten auf ein in der Monarchie bedeutende­s Geschlecht, dessen Stammvater Marquis Botta D’Adorno sagte: „Wir herrschen nicht, die anderen dienen.“

Es ist etwas faul im Staate Habsburg, den Tschuppik beschreibt. Doch trotz allem ist es ein sanfter, ja verklärter Blick, den der Autor auf jene Zeit wirft. Dies wohl auch deshalb, weil er wie Joseph Roth und Stefan Zweig beim Abfassen dieses lesenswert­en Romanes wusste und am eigenen Leib erfahren hat, was auf sie folgen wird.

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Foto: Milena-Verlag/ÖNB Lebemann, Autor, bedeutende­r Publizist: Karl Tschuppik.

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