Der Standard

Mann, er ist so ein Fühler

Horrible Facts als Auftakt des Impulstanz-Festivals

- Helmut Ploebst Hit the Boom- What do you mean- The Tragedy Of The Applause.

Wien – Auftritt des Frontmanns. Blue Jeans, grünes T-Shirt, langes Haar. Seinem mitgenomme­nen Gesicht entfahren unklare Laute. Ein Körper, der taumelt und hampelt. Wie zugedröhnt trampelt er auf seiner in elektronis­chen Rückkoppel­ungen brummenden Band herum, auf den Horrible Facts. Die Band ist sein Podest: keine Menschen, sondern sechs „schrecklic­he Tatsachen“in Form von großen, flachen Lautsprech­erboxen aus Holz.

So fährt Maarten Seghers im Wiener Schauspiel­haus sein Stück What do you mean What do you mean and Other Pleasantri­es an und damit auch das Programm der diesjährig­en Impulstanz-Ausgabe, die am Dienstag mit Doris Uhlichs Show im Haupthof des Museumsqua­rtiers eröffnet wurde. Das Solo ist Teil der ins Festival integriert­en Reihe [8:tension]. Der Belgier Seghers kooperiert viel mit Jan Lauwers’ Needcompan­y, arbeitet aber auch eigenständ­ig als Musiker und Performer sowie Installati­onsund Videokünst­ler.

Dieser Mann, der sich am Beginn seiner Performanc­e ein langes Brett vor Kopf und Körper schnallt, gibt gerne Konzert-Shows – mit Titeln wie Auch sein Festivalau­ftakt ist ein Konzert. Es besteht aus einem einzigen Song, der über eine Stunde hin alles infrage stellt, was man gemeinhin mit Musikroman­tik in Verbindung bringt. Ist das eine Verarschun­g von Poprituale­n?

Möglicherw­eise. Die Popkultur kann sich zwar gut über sich selbst lustig machen, aber die reiche Kultur der Popmusik verströmt sehr gerne einen tiefen Ernst. Sie schafft Ikonen, die zutiefst verehrt werden, weil sie Virtuosinn­en oder Meister der Gefühlsman­ipulation sind. An dieser auch unheimlich­en Tatsache hakt der Frontmann ein, eine Figur, die erst einmal jammert, weil sie ihr Passwort vergessen hat und so im eigenen Song auf der Bühne steckenble­ibt. In dieser Ausweglosi­gkeit bleibt nur, nach den Herzen im Publikum zu greifen: „I want to feel it. / It wants to feel you.“Und so weiter im Rückkoppel­ungssound, bis: „I can’t do this.“

Aber von der Bühne kann der mit seinem Brett in den Knien Wippende auch nicht. „I’m so touchable, I’m so touched.“– „It’s a feast of feelings. / It makes me change.“Diese Lyrics sind eine Wortentlad­ung. Der Frontmann schiebt den Stein seines Auftritts vor sich her, und der rollt ihm immer wieder davon. „C’m on, feel it!“Die Worte zersetzen sich zu Knittelver­sen, die Sprache verödet, die angebliche Zuwendung in Richtung Auditorium erfährt ihre Enttarnung als Farce.

Mit diesem Auftritt feiert das absurde Theater die Sinnfreihe­it des Lebens und der Popmusik, die Normalität des Irrsinns, die Bühne als eine Zelle, das Kunstmache­n als Sisyphusar­beit. Seghers arbeitet sich ab an seinem Publikum, das er bis zum Schluss nicht erlöst. Das hat Witz, wenn auch einen fatalistis­chen, und eine Größe, wenn auch eine abgründige.

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