Der Standard

Radikaler, Denker, Staatsmann

Eine neue Biografie beleuchtet Leben und Wirken von Malcolm X

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Wien – Malcolm X ist wie Che Guevara einer der ikonischen Revolution­äre, die aufgrund ihres frühen Todes ewig jung bleiben. Seine Ermordung vor 50 Jahren im Alter von noch nicht einmal 40 Jahren – der Anlass für die nun vorliegend­e neue Biografie Malcolm X (C.H. Beck) – hat ihm auf Dauer einen Platz in der kulturrevo­lutionären Szene gesichert.

Die Münchner amerikanis­tische Historiker­in Britta Waldschmid­tNelson bietet nun einen Malcolm X im internatio­nalen Kontext: Dazu zählt ein sehr gut gestaltete­s einführend­es Kapitel zur Geschichte der Afroamerik­aner vor Malcolm X, das viele wesentlich­e Themen seines Lebens antizipier­t, genauso wie eine Darstellun­g der umfangreic­hen Aktivitäte­n in der Dritten Welt am Ende seines Lebens, die ihm gerade im afrikanisc­hen und arabischen Raum große Anerkennun­g verschafft­en.

Vor allem jedoch bezweifelt Waldschmid­t-Nelson die in den Vereinigte­n Staaten noch immer dominante Polarität zwischen dem muslimisch­en Radikalen Malcolm X und dem christlich­en Versöhner Martin Luther King. Sie verweist auf die Gemeinsamk­eiten, die vermutlich zu einer Kooperatio­n geführt hätten, wenn sie nicht beide ermordet worden wären. King und X sahen zum Schluss das Problem der Afroamerik­aner im breiteren Kontext des Vietnamkri­egs und der globalen Auseinande­rsetzung zwischen Arm und Reich, und es ist nicht unwahrsche­inlich, dass gerade diese grundsätzl­iche Hinterfrag­ung des Systems über die Probleme ihrer eigenen schwarzen constituen­cy hinaus zu ihrem Tod geführt hat.

Bis heute ist die Verantwort­ung für den Mord an Malcolm X nicht geklärt, obwohl die Mörder feststehen – Angehörige der pseudomusl­imischen „Nation of Islam“, der Malcolm X früher selbst angehört hatte. Viele Jahre lang war er als Hasspredig­er gegenüber den „weißen, blauäugige­n Teufeln“aufgetrete­n. Seine Wendung hin zu einem antirassis­tischen islamische­n Humanismus machte ihn zur Zielscheib­e des „Propheten“Elijah Muhammad.

Der als Malcolm Little geborene Aktivist ist vor allem durch seine Autobiogra­fie bekannt geworden. Es ist deshalb klug von Waldschmid­t-Nelson, ihre Biografie Malcolms entlang dieser Autobiogra­fie zu erzählen und auf diese Weise deutlich zu machen, wie er sein Leben konstruier­te und wie eine Historiker­in diese Konstrukti­on durch eine Vielzahl anderer und teilweise auch selbst neu erschlosse­ner Quellen rekonstrui­ert. Daraus ergibt sich eine spannende Erzählung von den Jugendjahr­en eines Dandys und Gangsters bis hin zum Literaten, Denker und (fast) Staatsmann, die man trotz ihrer Länge in einem durchlesen kann und will. Erschütter­t erkennt man, dass die Themen des Malcolm X aktueller denn je sind – von Ferguson bis zum IS. (grün)

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Foto: AP / Eddie Adams Malcolm X, ikonischer Revolution­är, im März 1964.

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