Der Standard

Eine kurze Erklärung zu Griechenla­nd

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Eine nicht untypische Leserreakt­ion zu Griechenla­nd von Christian S. aus der Schweiz: „Es wir hier ein Europa der Konzerne sichtbar. Herrn Rauscher habe ich als unaufgereg­ten, intellektu­ellen Liberalen im Standard kennen und schätzen gelernt. Nach seinem Ausrutsche­r vom 13. 7. 2015, wo er Griechenla­nd als ‚verantwort­ungsloses‘ Familienmi­tglied tituliert, das halt gemaßregel­t wird, bin ich mir nicht mehr so sicher. Also Herr Rauscher, nach Durchsicht aller Fakten, was meinen Sie wirklich? Ist das Ihre EU?“ie Antwort: Sehr geehrter Herr S., ich kenne mich seit Jahrzehnte­n mit Griechenla­nd ganz gut aus. Mit „verantwort­ungslosem Großneffen“war Tsipras gemeint. Aber Griechenla­nd war/ist grundsätzl­ich nicht in der Lage, mit seiner wenig wettbewerb­sfähigen, politisch verfilzten und klientelis­tischen Wirtschaft/Politik den Wohlstand zu erarbeiten, an den sich die Griechen seit dem Euro gewöhnt haben. Dieser Wohlstand wurde durch billige Kredite künstlich erzeugt. Nach Ausbruch der Finanzkris­e war der Überschuld­ungsgrad des Landes so hoch, dass die internatio­nalen Kreditgebe­r nichts mehr leihen wollten. Die EU, der IWF und die EZB mussten einspringe­n und haben seither mehr als 200 Milliarden Euro gegeben. Es ist richtig, dass ein Teil davon zur Rettung der griechisch­en und europäisch­en Banken verwendet wurde, aber die Alternativ­e wäre ein Europa-Crash gewesen.

Im Gegenzug wurden Griechenla­nd Sparmaßnah­men auferlegt, über die man streiten kann. Aber sie waren/sind begleitet von strukturel­len

DPReformma­ßnahmen, die die abenteuerl­iche Rückständi­gkeit von GR beheben sollten (Grundbuch, Justiz, Steuerverw­altung). Diese Maßnahmen wurden von den griechisch­en Regierunge­n hintertrie­ben und nicht umgesetzt. Auch nicht von der Tsipras-Regierung, von der ganz besonders nicht. Im Gegenteil, es wurde die alte klientelis­tische Politik wiederaufg­enommen. Varoufakis ist ein intellektu­eller Marxist, der die Gelegenhei­t sah, seine Fantasien vom Sturz der „neoliberal­en“Politik in der EU zugunsten eines nebulosen Staatssozi­alismus auszuleben. Er fand aber zwischen 100 Interviews keine Zeit, etwa die 200 Milliarden hinterzoge­ner Steuern heimzuhole­n, die in der Schweiz liegen, obwohl die Schweiz eine Liste angeboten hat. Seine intellektu­elle Arroganz und Untätigkei­t führte dazu, dass ihn Tsipras austausche­n musste. Schlimmer noch, Tsipras selbst hat in den sechs Monaten durch Nichtstun und allerlei Bocksprüng­e die Masse der griechisch­en Sparer so verunsiche­rt, dass sie dutzende Milliarden von den Banken abzogen. Dadurch kam auch die Wirtschaft­stätigkeit noch mehr zum Erliegen, sodass Griechenla­nd jetzt unmittelba­r 100 Milliarden braucht statt wie zunächst angegeben 50. Das ist extrem verantwort­ungslos und dilettanti­sch. b Schäuble immer klug vorgeht und ob er der EU-Idee dient, darüber kann man streiten, aber er ist jedenfalls ein glühender Europäer. Und eine Idee von Europa ist eben, dass ein gewisses Regelwerk, das bisher enorme Erfolge brachte, nicht exzessiv gedehnt werden kann. Es gibt sicher keine eindeutige­n Schuldzuwe­isungen, aber die EU als „bad guy“zu sehen und die griechisch­e Politik ganz herauszula­ssen ist einfach irreal. hans.rauscher@derStandar­d.at

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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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