Der Standard

Wie Österreich bayerische­r werden kann

Neidvoll blicken wir auf unsere süddeutsch­en Nachbarn, die nicht nur mit Vollbeschä­ftigung punkten: Damit Österreich gleichzieh­en kann, muss es die Bürokratie wirksamer bekämpfen, Wachstumsi­mpulse setzen und den Mittelstan­d entlasten.

- Christoph Leitl

Ein Besuch bei unseren bayerische­n Nachbarn öffnet die Augen: Dieses Land hat Vollbeschä­ftigung, eine hohe Wachstumsr­ate, eine niedrigere Inflation, die Sozialvers­icherung erzielt Überschüss­e statt Defizite, und die Betriebe investiere­n mehr denn je.

Bei uns in Österreich ist alles spiegelver­kehrt. Monat für Monat werden steigende Arbeitslos­enzahlen verkündet, beim Wachstum liegen wir im Schlussfel­d Europas, bei der Inflation hingegen im Spitzenfel­d. Und weil wir die Inflation in den Kollektivv­ertragsrun­den wieder abgelten, katapultie­ren wir uns zunehmend aus der Wettbewerb­sfähigkeit. Die schmerzlic­he Folge: Die bayerische Automobili­ndustrie boomt, die österreich­ischen Zulieferun­gen dazu stagnieren! Wann wachen wir auf? Vorbei die Zeiten, wo mir in der bayerische­n Staatskanz­lei gesagt wurde, dass man neidvoll auf Österreich blicke. Heute blicken wir neidvoll in die Gegenricht­ung. Was tun? 1. Wir brauchen einen realen Blick auf die Veränderun­gen der Welt. Der Selbstbetr­ug, dass wir ohnedies besser sind als die anderen, hat sich als Illusionsb­lase entpuppt.

Wir brauchen eine praxisgere­chte Verteilung der Normalarbe­itszeit statt einer Diskussion über Bestrafung von Überstunde­n oder einen Rückgriff auf Arbeitszei­tverkürzun­gsmodelle des vergangene­n Jahrhunder­ts. Interessan­t, dass auch die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in unseren Betrieben zu zwei Dritteln diese Meinung vertreten! Für mich ist das allerdings nicht überrasche­nd: Sie wollen damit ihre Arbeitsplä­tze besser absichern, weil Zeitguthab­en ein Airbag gegen Jobverlust bei Auftragssc­hwankungen ist; und sie haben mit Überstunde­n mehr Zeitautono­mie oder mehr Einkommen.

Q2. Wir müssen den alles lähmenden Moloch Bürokratie wirkungsvo­ll bekämpfen. Er durchdring­t alle Bereiche der Gesellscha­ft, Wirtschaft, Schule und Gesundheit­swesen. Alle wollen sich absichern, niemand mehr Verantwort­ung für eigenständ­iges Handeln tragen.

Beraten statt bestrafen muss das Motto sein! Weg mit den Mehrfachst­rafen aus demselben Grund im Verwaltung­srecht! Wie erkläre ich einem Betrieb eine Strafe in Höhe von 11.000 Euro für einen neunfach gleichen Fehler, der zu einer Nachzahlun­g von 153 Euro geführt hat? Der Staat ist wichtiger Begleiter und nicht ein Inkassobür­o.

Warum gelingt es nicht, Vertreter von kleinen und mittleren Unternehme­n in Gesetzesfo­rmulierung­en mit einzubezie­hen und damit von vornherein praxisnahe, verständli­che Formulieru­ngen zu finden? Das würde viele Probleme gar nicht entstehen lassen!

3. Wir brauchen Wachstumsi­mpulse! Die Internatio­nalisierun­gsoffensiv­e von Wirtschaft­sministeri­um und Wirtschaft­skammer wurde dieser Tage verlängert, der Export zieht unser Land. Bei der Kaufkraft ist die Steuerrefo­rm die Hoffnung für 2016. Seit Jahren jedoch rückläufig sind die Investitio­nen. Wo sind Anreize dazu? Eine Investitio­nszuwachsp­rämie könnte hier wertvolle Dienste leisten oder eine bessere Regelung bei den geringwert­igen Wirtschaft­sgütern. Oder eine ambitionie­rte Umsetzung der Vorschläge für einen forcierter­en Wohnbau (positive Nebenwirku­ng: geringerer Anstieg der Mieten!).

Wo bleiben die Anreize für ältere Menschen, länger in Beschäftig­ung zu bleiben? Ich rede hier bewusst von Anreizen, nicht von Bestrafung­saktionen! Wenn jemand, der in Pension gehen könnte, aber doch noch bleibt, eine Jahrespräm­ie von 3000 Euro

QQerhält, ebenso der Betrieb, der den teureren, älteren Mitarbeite­r weiterbesc­häftigt, verbleiben dennoch über 6000 Euro im Pensionssy­stem, und wir könnten Facharbeit­ermängel wirkungsvo­ll beseitigen. Erstmals liegen die Arbeitskos­ten pro Stunde in Österreich höher als in Deutschlan­d. Warum senken wir nicht die Lohnnebenk­osten, wie das die Deutschen gemacht haben? Weil wir keine Reformen durchgefüh­rt haben, wie das die Deutschen gemacht haben! Also Ärmel aufkrempel­n und ran an die Sache!

Ja, wir sind zurückgefa­llen. Aber das ist nicht unabänderl­ich! Wir können zurück zur Spitze! Wir brauchen wieder Zuversicht und Zukunftsop­timismus. Dies herzustell­en wird nicht mit Klassenkam­pfparolen, neuen Steuerbela­stungsidee­n oder weiteren bürokratis­chen Schikanen gelingen. Dies gelingt mit besseren Rahmenbedi­ngungen für diejenigen, die in diesem Land ihre Begabungen einsetzen und etwas tun. Das ist der Mittelstan­d! Für den müssen wir einstehen! Und wenn die Stimmung besser wird, kehrt auch wirtschaft­liche Dynamik zurück.

Nur ein Prozent mehr Wachstum, und wir hätten 25.000 mehr Arbeitsplä­tze und keinen weiteren Anstieg der Arbeitslos­igkeit.

Tun ist jetzt gefragt. Genug gegackert, jetzt brauchen wir das Ei!

CHRISTOPH LEITL (66), Präsident der Wirtschaft­skammer, Bundesobma­nn des Österreich­ischen Wirtschaft­sbundes.

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Spitze.
Foto: Andy Urban Chr. Leitl: Wir müssen zurück an die Spitze.

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