Der Standard

Demokratie ist kein Wunschkonz­ert

In einer Union muss sich der Wählerwill­e oft unterordne­n, nicht nur in Griechenla­nd

- Eric Frey

Wir wurden erpresst!“Das war die stärkste Botschaft des griechisch­en Premiers Alexis Tsipras, als er seinem Parlament erklären musste, warum er nach dem überwältig­enden „Ochi“beim Referendum zum Spardiktat der Gläubiger genau dieses nun akzeptiere­n muss.

Aber warum ist Griechenla­nd denn so leicht erpressbar? Darauf gab Tsipras keine Antwort. Diese hängt weniger mit der Macht von globalisie­rten Finanzmärk­ten oder Konzernen zusammen, wie linke Kritiker gerne behaupten, als mit bewussten Entscheidu­ngen der Politik. Syriza war entschloss­en, Griechenla­nd im Euro zu halten, und musste daher die Bedingunge­n der Gläubiger akzeptiere­n. Den Wählerwill­en – Nein zum Sparkurs, Ja zum Euro – konnte die Regierung nicht erfüllen. Das war kein Staatsstre­ich, wie es auf Twitter hieß, sondern der Sieg harscher Realitäten über verführeri­sche Wunschträu­me.

Ein Grexit hätte – bei all seinen ökonomisch­en Risiken – dem Land wieder mehr politische Autonomie zurückgege­ben und erlaubt, den Wählerwill­en besser umzusetzen. Ein Schuldensc­hnitt wäre rechtlich leichter möglich, und mit einer eigenen, wenn auch schwachen Währung könnte man höhere Staatsausg­aben finanziere­n. ndem Tsipras den Grexit ausschloss, nahm er eine massive Einschränk­ung der nationalen Souveränit­ät hin. Das gilt für alle EU-Mitgliedss­taaten, für Euroländer aber noch mehr. Wähler in Österreich und Deutschlan­d würden in Volksabsti­mmungen wohl mit großer Mehrheit gegen jene Beteiligun­g am neuen Hilfspaket für Griechenla­nd stimmen, die die Abgeordnet­en beider Länder am Freitag in einem ersten Schritt billigten. Doch es gibt gute Gründe, solche Fragen nicht dem Volk vorzulegen: Entscheidu­ngen, die für das Funktionie­ren der Eurozone notwendig sind, müssen von Regierunge­n untereinan­der ausgehande­lt und dann von gewählten Parlamenta­riern abgesegnet werden. Wer das nicht will, soll für Parteien stimmen, die den Austritt aus dem Euro oder der EU verlangen.

Auch heute hat der britische Finanzmini­ster David Osborne mehr Freiheit in der Budgetpoli­tik als seine EuroKolleg­en; zur Griechenla­nd-Hilfe muss er gar nichts beitragen. Und sollte Großbritan­nien die EU verlassen, würde der nationale Spielraum noch weiter

Iwachsen. Aber auch die Schotten würden durch eine Unabhängig­keit alle „Diktate“aus London abschüttel­n und noch mehr Selbstbest­immung als heute erlangen.

Doch der Verzicht auf Integratio­n hat seinen Preis: Kleinstaat­erei bremst Wachstum, verringert den Lebensstan­dard, schürt Konflikte, erschwert effektive Lösungen für grenzübers­chreitende Probleme und schränkt die Möglichkei­ten des Einzelnen ein, sein Leben selbst zu gestalten. Und völlige Autonomie kann es in der globalisie­rten Welt ohnehin nicht geben. Das erklärt, warum sich Regierunge­n und Bürger dann doch für eine Union entscheide­n. Sie akzeptiere­n damit, dass ihre Stimme nur eine von vielen ist und die wichtigste­n Entscheidu­ngen anderswo fallen – sei es in Berlin oder Brüssel. Das erleben auch US-Amerikaner, die sich von Washington fremdbesti­mmt fühlen, oder Steirer mit einer Wien-Phobie.

Dieses Spannungsf­eld zu erklären ist eine der Hauptaufga­ben der heutigen Politik. Denn die Mär von der Kolonialis­ierung durch ein fernes und fremdes Europa ist demokratie­politisch gefährlich – in Griechenla­nd genauso wie in Österreich.

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