Vom Volk und von
„Hôtel du Nord“und „Das Salz in der Wunde“: Zwei nun in deu der Zwischenkriegszeit von Eugène Dabit und Je
Kennst du dich eigentlich, Crouzon?“Kennt sich Crouzon, dieser junge Student der Rechtswissenschaft, der den sinnigen Vornamen Dieudonné, von Gott gegeben, trägt, überhaupt? Er lernt an sich gleich in der ersten Szene des 1934 erschienenen und nun sorgfältig ins Deutsche übersetzten Romans Das Salz in der Wunde eine neue, andere Facette kennen. Die als Ausgeschlossener, als Geächteter. Aus einer falschen Anschuldigung eines Freundes folgt eine kurze tätliche Auseinandersetzung, die jeden Weg zurück, in einen versöhnlichen Status quo ante verbaut, nicht zuletzt wegen emotionaler Rigidität. Und die zur Konsequenz hat, dass Crouzon, dieser so talentierte und so vielversprechende angehende Jurist aus einfachen Verhältnissen, aus allen seinen freundschaftlichbürgerlichen Pariser Bezügen und beruflichen Bezugsnetzen geschleudert wird und, es ist das Jahr 1924, in der Provinz neu anfangen muss.
Er findet eine kleine Anstellung in einer Kleinstadt im geografisch mitten im Herzen von Frankreich gelegenen Département Indre als Anzeigenakquisiteur für politische Abgeordnete, die ihre Wiederwahl organisieren. Was ihn über Wasser hält, was ihn antreibt, ist Rache. Unbändige Rache an jenen zu nehmen, die ihm per von einigen lässig gehandhabten, von anderen gleichgültig praktizierten Ostrazismus eine Karriere verbauten.
Er arbeitet pausenlos, er ist rücksichtslos gegen sich selber. Rasch steigt er auf. Bald wird er selbstständig. Akquiriert eine Druckerei. Wird Werbepostille- und Zeitungsverleger. Wird im Provinzgespinst, und la France profonde ist damals so fern von Paris gewesen, als sei Letzteres Spitzbergen, Spindoktor avant la lettre. Wobei die Propagandawinkelzüge, die er einsetzt, sich erstaunlich wenig von heutigen Marketingmanövern und Parteischarmützeln unterscheiden. Crouzon wird wohlhabend, ja richtiggehend reich. Am Ende, mit den Attitüden der Provinzler unter der Hand zynisch umgehend, wird er Abgeordneter des Départements. Und empfängt in Paris, süffisant sie erniedrigend, die einstige Freundesclique, die nun bei ihm um Arbeit, Anstellung und Protektion ansucht.
Psychopathologischer Machiavellismus
Es ist eine autobiografisch eingefärbte Etüde in psychopathologischem Machiavellismus, die Jean Prévost, geboren 1901, in den 20ern Werbemanager in der Provinzpolitarena und 1944 als Résistant von den Deutschen erschossen, erzählt. Prévost ist ein Autor, dessen Name heute selbst in Frankreich trotz einiger Neuausgaben in den 1990er-Jahren nicht vielen etwas sagen dürfte. Alles andere als zufällig betitelt hat sein Sohn Pierre 2002 sein Porträt des Vaters Retrouver Jean Prévost, das im kleinen Verlag der Université de Grenoble herauskam. Zu früh ist der außerordentlich produktive Autor gestorben, der ab 1925 nahezu jährlich ein Buch herausbrachte, über Themen vom Vergnügen des Sports bis zu Montaigne, sowie für Zeitschriften schrieb und mit Hemingway boxte.
Einer wie er, seit 1930 Mitarbeiter der angesehenen Nouvelle Revue Française, hätte sich erst recht in der Literaten- und Intellektuellenrepublik nach 1945 durchgeboxt, zwischen Romain Gary, André Malraux, Roger Nimier und Françoise Sagan. Andererseits ist, was Crouzon so befeuernd an- und manisch umtreibt, diese durch Mark und Bein gehende Demütigung und narzisstische Kränkung, psychologisch nicht übermäßig überzeugend ausgearbeitet und zu sehr einem schlicht umgesetzten Freudianismus verpflichtet.
Die französische Literatur zwischen den zwei Weltkriegen findet heute nur schwer noch den Weg zum Lesepublikum. Paul Valéry, André Gide, Léon-Paul Fargue, Valery Larbaud sind literarhistorische Schemen. Manches wie der „renouveau catholique“eines Paul Claudel oder Georges Bernanos ist nur noch marienaltartauglich, anderes, die Werke des Kommunisten Louis Aragon oder die Prosa der rechtsextremen Antisemiten LouisFerdinand Céline, Pierre Drieu de la Rochelle, Robert Brasillach, ideologisch abstoßend und moralisch durchweg degoutant.
Der Rest wird übertönt durch Unterhaltung und den medial raumgreifenden Michel Houellebecq, weniger durch Patrick Modiano, den letzten französischen Literaturnobel-